Eine Frage der Würde – eine Beobachtung

Eine Frage der Würde

Es war warm, nicht zu warm, doch sommerlich warm. Der Rasensprenger stand mitten auf der kurz geschorenen Rasenfläche und verspritzte seine kühlenden Tropfen, die kurz in der Sommersonne glitzerten, bevor sie im grünen Polster versanken. Ein paar Vögel kreisten mit wachen Augen über der Fläche, in der Hoffnung, ein Leckerchen zu finden. Der alte Mann saß in seinem Rollstuhl, den Blick geradeaus gerichtet, in ein Jenseits, das nur ihm zugänglich war. Auf dem faltigen Gesicht lag eine Traurigkeit, die in völligem Kontrast zu den zwei anderen Menschen an seinem Tisch stand. Zwei Männer in den Vierzigern saßen dem alten Mann gegenüber.

„Freust du dich, dass wir da sind?“

Der alte Mann blieb stumm. Nur ein leichtes Zucken in seinen Augen verriet, dass er sich angesprochen fühlte. Er antwortete nicht, nahm erneut seine Kuchengabel in die leicht zittrigen Hände und stochterte lustlos in seiner Torte herum.

„Wir sind gekommen, um mit dir Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen. Du hast heute Geburtstag.“

Gespannt warteten die Söhne über ein anerkennendes und dankbares Zeichen ihres kranken Vaters. Er blickte sie nur an – wortlos, ausdruckslos.

„Kannst du dich an den Namen deiner Schwester erinnern?“, fragte der Jüngere der beiden Brüder.

„Frag doch nicht, den weiß er sowieso nicht“ , setzte der ältere Bruder hinzu, ohne die Lautstärke seiner kräftigen Stimme zu verändern. Er übernahm nun unaufgefordert die Gesprächsführung.

„Das hat sie uns mitgegeben, deine Schwester Elli, das sollst du dir mal anhören.“

Er schob seinem Vater einen Laptop neben dem Kuchenteller  und ein Videoclip mit einer miauenden Katze erschien auf dem Bildschirm. Eine für meine  Ohren unangenehme Begleitmusik erklang vom Nebentisch.

„Nun schau doch mal hin! Das hat sie uns extra für dich mitgegeben.“

Der alte Mann blieb regungslos in seinem Rollstuhl sitzen. Er war immer noch in seiner Welt versunken.

„Das ist doch toll, findest du nicht?“ , versuchte der jüngere Sohn das Gespräch mit seinem Vater erneut in Gang zu setzen.

„Lass sein, es hat keinen Zweck.“

Sie gaben es auf, unterhielten sich fortan nur noch miteinander, während der alte Mann weiterhin vor dem Laptop saß, den Blick in die Ferne gewandt.

So wie man kleine Kinder vor dem Fernseher ‚parkt’, damit sie abgelenkt sind und Ruhe geben, kann es auch Erwachsenen gehen, die durch Krankheit mit einer Welt konfrontiert werden, in der sie längst nicht mehr leben oder leben wollen.

Ich weiß nicht, wie krank der alte Mann war und was er mitbekommen hat, vielleicht wollte er auch nichts mitbekommen und hoffte insgeheim, dass seine Söhne ihren Pflichtbesuch schnellstens beendeten und ihn wieder in sein vertrautes Pflegeheim brachten.

© G.Bessen

abc.etüden 42.17

Die Wörter für die Textwoche 42.17 für die abc.etüden stammen von Gerda Kazakou, Malerin und Schreiberin (gerdakazakou.com), die im schönen Griechenland lebt, und lauten:

verdammt
Zweibrücken
grenzenlos

 

Zoff in Windelbach

Die Bewohner von Windelbach trauten ihren Ohren nicht, als der Bürgermeister das Mikrofon ergriff und verkündete, dass die 2000-Seelen-Gemeinde bald Zweibrücken heißen würde.
Verdammt noch einmal, Bürgermeister, was ist das denn für ein Schwachsinn!?“, fragte der Pfarrer der Gemeinde und wischte sich den Schweiß von der Stirn, denn die  Stimmung im Festzelt war recht aufgeheizt und der goldene Oktobertag mit weit über zwanzig Grad tat sein Übriges.
„Das ist wohl ein Scherz zum Oktoberfest“, rief der Schuldirektor dem Pfarrer zu und hob mit einer vertraulichen Geste den Bierkrug, um dem Herrn Pfarrer zuzuprosten.

„Das ist ganz und gar kein Oktoberfestscherz“, bestärkte der Bürgermeister mit einer scheinbar grenzenlosen Ruhe und einer Geduld wie ein Schaukelpferd, und blickte dabei fest in die Runde der Anwesenden.

Die Bewohner von Windelbach schauten sich an, flüsterten einander etwas zu und es schien, als fingen sie an, die Bürgermeisterworte ernst zu nehmen.
„Und was soll dieser verdammte Quatsch? Seit den ersten Anfängen dieses Ortes vor gut dreihundert Jahren heißt er Windelbach und unsere Vorfahren haben sich damit einen Namen gemacht.

Schließlich leben wir hier von der Tradition unserer Vorfahren, denn unser Wein heißt „Der Windelbacher“ und nicht der „Zweibrückener“, und so wahr, wie ich Erwin Walter heiße, bleibt das auch so.“

Doch der Bürgermeister ließ sich nicht beirren und erklärte geduldig, dass mit der zweiten, eben erst eingeweihten Brücke über die Mosel der Anfang zu einem neuen Zeitalter, dem Wellnesszeitalter in Windelbach, bald Zweibrücken, beginnen würde und das würde er forcieren, solange er im Amt sei. Und innerlich schmunzelte er grenzenlos, denn mit seinen finanzkräftigen Gönnern würde er noch sehr lange im Amt bleiben.

© G. Bessen

abc.etüden 41.17(2)

Für die abc.etüden, Woche 41.17: 3 Worte, maximal 10 Sätze.

Die Worte stammen in dieser Woche von Bernd von Red Skies over Paradise (redskiesoverparadise.wordpress.com) und lauten:

Monat, fragwürdig, gehen.

Neubeginn

Sie hatte große Lust wegzugehen, egal wohin.

Jeder Monat der hier verging, war reine Zeitverschwendung, schal und öde, ohne Perspektive und ohne Zukunft.

Um sie herum hatte sich alles verändert. Die Naturgewalten hatten wieder einmal zugeschlagen, noch unerbittlicher, zerstörerischer und unheilvoller als in den vergangenen Jahren. Was sollte sie hier noch, hier, wo niemand mehr da war, der ihr nahe stand?

Ihre Familie war tot, ertrunken in den reißenden Fluten des Monsun und ihre wenige Habe war weggeschwemmt worden. Sie besaß nur noch das, was sie am Leib trug und damit würde sie sicher nicht weit kommen.

Aber woanders hätte sie vielleicht eine Möglichkeit, eine Bleibe zu finden oder etwas Geld zu verdienen, wenn auch in fragwürdigen Gewerben.

Sie musste es versuchen. Mit einem letzten Blick aufs Meer und einem stummen Gruß an die Toten, begann sie ihr neues Leben, das sie wenigstens versucht haben wollte…

© G. Bessen

abc.etüden 41.17

Für die abc.etüden, Woche 41.17: 3 Worte, maximal 10 Sätze.

Die Worte stammen in dieser Woche von Bernd von Red Skies over Paradise (redskiesoverparadise.wordpress.com) und lauten:

Monat, fragwürdig, gehen.

 

Seelische Gesundheit

Sie hatte sich intensiv auf diesen heutigen 10. Oktober, dem  Internationalen Tag der seelischen Gesundheit, vorbereitet.

Seit Jan gegangen war hatte sie Woche um Woche ausgemistet, sicherlich ist dabei ein ganzer Monat ins Land gegangen. Ihre kleine gemütliche Wohnung war wieder aufgeräumt, frisch renoviert und geputzt und bot ihr eine kleine stille Oase inmitten der Großstadt.

In ihrem Inneren hatte sich das Gefühl einer überflüssigen, zeitverschwenderischen,  von vornherein fragwürdigen Beziehung zu Jan so gefestigt, dass sie diese harte innere Nuss, seit langem von allen Seiten betrachtet, nun knacken musste. Denn was nützte ihr ein schönes Drumherum, ein Refugium zum Wohlfühlen, wenn die Dornen in ihrem Inneren piekten und sie ständig neu verletzten?

Ruhe für ihr Inneres, Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit und die innere Mitte finden, das waren ihre nächsten Programmpunkte und mit Sicherheit die herausforderndsten. Aber sie hatte sich soweit wieder gefangen, dass sie diesen Weg voller Mut  in Angriff nehmen konnte.

Pah, sie hatte doch schon ganz andere Dinge gemeistert und würde wegen einer gescheiterten Liaison mit einem Mann ihr restliches Leben doch nicht in Gefahr bringen.

Es klingelte, das bestellte Taxi war da und es wurde Zeit zu gehen. Vier Wochen Urlaub auf einer kleinen Insel in der Nordsee, mit Wellness und seelischem Hausputz, das würde ihr gut tun und ihr inneres Gleichgewicht wiederherstellen.

© G. Bessen