Schreibeinladung für die Textwochen 10*11*12*13**23

Christiane lädt wieder zur nun monatlich stattfindenden Etüde ein: aus 3 Wörtern eine Kurzgeschichte mit maximal 300 Wörtern zu schreiben.

Die Wortspende für März bzw. die Textwochen 10, 11, 12 und 13 des Jahres 2023 stammt freundlicherweise von Werner Kastens und seinem Blog Mit Worten Gedanken horten. Sie lautet:

Dichterlesung
genügsam
verkuppeln

 

 

Das Geburtstagsgeschenk

„Hast du nicht alle Latten am Zaun?“

Mike hielt den Geburtstagsgutschein seiner Schwester in der Hand, schaute sie ungläubig an und setzte hinzu: „ Du weißt doch, dass ich außer meiner Tageszeitung, Elternratgebern und der Autozeitung nichts lese, und nun soll ich zu einer Dichterlesung gehen? Bescheuert!“

Sandra hatte mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet, sie wusste, dass Mike schon in seiner Schulzeit sehr genügsam mit anspruchsvoller Literatur war und sich auch später nie dafür interessiert hatte.

Er geriet immer mehr in Rage und machte aus seinem Herzen keine Mördergrube.

„Du weißt, dass ich für so etwas weder Interesse noch Zeit habe. Ich bin froh, wenn ich meine Aufgaben für den Tag halbwegs erfüllen und abarbeiten kann, bevor ich wie ein nasser Sack todmüde ins Bett falle.“

Sandra biss sich auf die Lippen. Nur nicht die Nerven verlieren! Mit ruhiger Stimme erklärte sie ihrem Bruder: „ Ich weiß zu gut, unter welchem Stress und Druck du stehst. Für den besagten Abend habe ich ein Kindermädchen organisiert und wir könnten gemeinsam dorthin gehen.“

„Ich soll meine Kinder fremden Leuten überlassen? Kommt gar nicht infrage! Da hätte ich mich mehr gefreut, wenn du den Babysitter gegeben und mir einen Gutschein für die Sauna geschenkt hättest, DAVON hätte ich sicher profitiert. Ich schlage vor, du gehst mit einer deiner literaturinteressierten Freundinnen dahin, denn dein holder Gatte scheint ja auch nicht so der geistige Akrobat zu sein.“

Sandra gab nicht auf. Es waren ja noch ein paar Tage bis zu diesem Abend. Sie konnte Mike nicht sagen, dass hinter dieser Dichterin eine überaus attraktive Freundin stand, die bestens zu ihm passen würde. Seit Mikes Frau vor einem Jahr mit ihrem Fahrlehrer durchgebrannt war und ihn mit den Kindern alleine gelassen hatte, schien es an der Zeit, ihn mit einer netten jungen Dame zu verkuppeln.

299 Wörter

 

Schreibeinladung für die Textwochen 04*05*23 |

Die Wortspende für die Textwochen 04/05 des Jahres 2023 stammt  von Christiane und ihrem Blog Irgendwas ist immer. Sie lautet:

Drache
edel
häkeln

„Mama, ich weiß nun, was ich zu Fasching sein möchte. Ein Drache. Kannst du mir ein Kostüm nähen?“

„Du weißt doch, dass ich nicht gut nähen kann.“

„Dann kaufen wir eins.“

„Und ich“, meldete sich die Zwillingsschwester sofort zu Wort, „möchte ein Kleeblatt sein. Dafür brauche ich auch ein Kostüm mit vielen kleinen Kleeblättern, auch in Grün.“

„Ihr habt ja seltsame Wünsche“, antwortete die Mutter und blickte ihre Töchter Mia und Maja verwundert an.

„Warum ausgerechnet alles in Grün?“

„Unsere Lehrerin hat uns heute von St. Patrick erzählt. Er ist einer der berühmtesten Schutzheiligen Irlands. Und wenn die Iren am 17. März feiern ist alles Grün, alles Essen und Trinken, Kleidung und Haare, einfach alles! Cool, oder?“

„Und der Patrick hat Irland von bösen Drachen befreit, deshalb möchte ich als Drache gehen. Ich würde so gerne Feuer spucken können.“

„Du hast mal wieder nicht aufgepasst, Schwesterherz. Er hat Irland von der Schlangenplage befreit, nicht von Feuer spuckenden Drachen!“

Nun schritt die Mutter beherzt ein.

„Wenn ich mich recht erinnere, hat St. Patrick den Iren das Christentum gebracht und weder Drachen bekämpft noch Schlangen gezähmt. Wie hätten die denn auch auf die Insel kommen sollen?!“ Der Einwand der Mutter schien berechtigt und brachte die Mädchen zum Nachdenken.

Das Christentum zu verkünden war sicher auch ein edles Motiv.

„Gut, wir finden eine Lösung. Da ihr ja auf der Farbe grün besteht, folgender Vorschlag: Wir fragen die Oma, ob sie ein grünes Drachenkostüm nähen möchte und ich kaufe grüne Wolle und häkele dir einen kuscheligen Umhang aus vielen kleinen Kleeblättern. Wie findet ihr das?“

Das Strahlen in den Kinderaugen war Antwort genug und während Mia bereits die Nummer der Oma wählte, entdeckte Maja eine Schüssel grüner Götterspeise und ein Kännchen Vanillesoße im Kühlschrank.

Konnte Mama etwa hellsehen? Egal, – sie war einfach die Beste!

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 02*03*23

Ein neues Jahr, neue Etüden! Christiane lädt wieder ein!

Die Wörter für die Textwochen 02/03 des Jahres 2023 stiftete Ludwig Zeidler, dem ursprünglichen Erfinder der abc-Etüden. Sie lauten:

Fluchtsieger
füttern
wunderbar

 

Ausbruch

Welch eine Pleite! Käthe und die beiden anderen Kälbchen Luise und Lotte hatten es geschafft, auszubrechen.

Es ist doch klar, dass Kälber, sobald sie sicher auf den Beinen stehen können, Lust haben, ihre Umgebung zu erkunden. Ihren Müttern hatten sie das zwar zugeflüstert, deren Zustimmung aber nicht direkt erhalten, sondern bestenfalls besorgte Blicke geerntet.

So machten sie sich auf und zogen durch die Auen.

Was war das für ein wunderbares Gefühl von Freiheit, das ihnen um die rosigen Näschen wehte.

Käthe war eindeutig die Fluchtsiegerin. Als Erste von den dreien geboren, hatte sie die Verantwortung übernommen und sich den Rückweg zum Ökodorf genau eingeprägt. Dabei war Käthe nicht nur voller Nächstenliebe, sondern ein sowohl schlaues wie ehrgeiziges Kalb.

Als sich die drei Ausreißerinnen beim Sonnenaufgang müde und hungrig zurück schlichen, wurden sie prompt erwischt. Auch wenn sie noch so leise waren, wurden die Bewohnerinnen und Bewohner des Ökohofes wach. Spöttische und mitleidvolle Blicke mussten die drei aushalten, sich auch das eine oder andere Gezeter und Gemeckere anhören, aber stolz erhobenen Hauptes zogen sie an den Ställen und Gehegen vorbei.

Schelte gab es nicht, aber dafür Einzelhaft.

Käthe, Luise und Lotte ließen sich müde und entkräftet ins Stroh fallen und schliefen auch bald vor Entkräftung ein. Konsequenzen fürchteten sie nicht, so weit reichten ihren jungen Gedanken und ihr Erfahrungsschatz nicht. Sie hatten ihr Abenteuer gehabt und ein Stück von der Welt um sich herum erkundet.

Dass bloß niemand vergaß, sie zu füttern, war ihre größte Sorge!

245 Wörter

Fotos: G. Bessen im Ökodorf Brodowin

Schreibeinladung für die Textwochen 46.47.22 (3)

 

Vor den adventlichen Etüden lädt Christiane noch einmal ein!

Die letzte Wortspende für die Textwochen 46/47 des Jahres 2022 stammt von Ulrike mit ihrem Blog Blaupause7. Sie lautet:

Rolle
halbherzig
belohnen

 

Aller guten Dinge sind drei …

Als Nora ihre ersten Wochen in Australien verbrachte, hatte Lena Mühe, ihre Wochenenden alleine sinnvoll zu füllen.

Mittlerweile hatte sich auch das verändert, denn ein Tag am Wochenende gehörte nun den Bewohnern des Altenheims. Lena hatte ihre Gitarre, Liederbücher, Spielesammlungen und Bastelmaterialien im Heim deponiert und war gern in die Rolle der Beschäftigungstherapeutin geschlüpft. Sie war überwältigt, mit wie viel Liebe und Dankbarkeit sie belohnt wurde.

Nur ihre alte Mutter konnte es nicht lassen, zu schmollen und zu sticheln. „Du kümmerst dich um fremde Leute, aber deine alte Mutter lässt du einfach im Stich!“ „Komm doch einfach mal mit, dann lernst du die Menschen dort kennen und hast auch ein paar Stunden Abwechslung!“ „Nur über meine Leiche! Da sind ja nur Alte und Kranke!“ Lena ließ sich davon nicht beirren.

Als aber die Heimleiterin persönlich bei Lenas Mutter anrief, sie einlud und sich nicht mit halbherzigen Ausflüchten abspeisen ließ, gab sich die alte Dame einen Ruck und begleitete Lena am folgenden Sonntag zur Feier des ersten Advents.

Kaum zu glauben, wie schnell die alte Dame auftaute, sich beim Singen und Spielen mitreißen ließ und bedauerte, dass der Nachmittag so schnell vorbei war.

Auch für sie wurden die Besuche dort zum Höhepunkt der Woche und Lena merkte sehr schnell, dass sich ihre Mutter zunehmend mit dem Gedanken beschäftigte, sich dort für ein Zimmer anzumelden.

Sie wusste, die Warteliste war lang. Aber Lenas Mutter wusste nicht, dass die Heimleitung Lena das Angebot gemacht hatte, das nächste frei werdende Zimmer für ihre Mutter zu reservieren, falls sie es beziehen wolle. Die Heimleitung befand, das wäre wenigstens eine kleine Entschädigung für die viele freie Zeit, die Lena den Menschen dort schenkte.

Und so geschah es, dass Lenas Mutter mit Beginn des neuen Jahres ein freundliches großes Zimmer mit Blick auf einen See beziehen konnte.

300 Wörter

 

 

Schreibeinladung für die Textwochen 46.47.22 (2)

Vor den adventlichen Etüden lädt Christiane noch einmal ein!

Die letzte Wortspende für die Textwochen 46/47 des Jahres 2022 stammt von Ulrike mit ihrem Blog Blaupause7. Sie lautet:

Rolle
halbherzig
belohnen

 

Hier nun die Fortsetzung:

 „Sag mal, Mama, hast du jemanden kennengelernt?“

Lena verschluckte sich fast am Rotwein, mit dem sie sich nach getaner Arbeit belohnte und fragte ihre Tochter beim abendlichen Skypen, wie sie darauf käme, eher etwas zerstreut, fast halbherzig, wie Nora fand.

„Du bist megacool drauf. Vielleicht hast du dich ja daran gewöhnt, dass ich mal für einige Zeit in der Welt herumreise!?“

Lena lächelte und antwortete: „Mach dir um mich keine Sorgen, sondern genieße deine Zeit, sie geht schneller vorbei, als du denkst.“

Die Tage verflogen und Lena hatte alle Hände voll zu tun. Ihre Küche war zu einer wahren Backstube geworden und der Plätzchenduft waberte durch das ganze Haus. Auf ihrem Schreibtisch klebten Memo-Zettel in verschiedenen Farben. Sie war mit sich zufrieden, denn die Rolle als Organisatorin forderte sie heraus. Sie war in ihrem Element.

Am Morgen des Nikolaustages konnte sie es nicht erwarten, in ihre Dienststelle zu kommen, zwei Stunden früher als ihr Dienst begann. Ihre Kolleg*innen* hatten keine Mühe zur Unterstützung gescheut. Im Vernehmungszimmer lagen zahllose Tüten, die gepackt werden wollten.

Das Team der Dienststelle in Bahnhofsnähe hatte es sich in diesem Jahr zur Aufgabe gemacht, die Bewohner*innen* des Elisabethstiftes zu besuchen und zu beschenken. Kuchenbasare und Geldsammlungen hatten einen stattlichen Erlös eingebracht, die weibliche Kolleginnenschaft hatte in ihren Pausen nur noch Stricknadeln und Wolle in den Händen und so standen am frühen Nachmittag fünfundsiebzig Tüten mit Lenas Weihnachtsplätzchen, einem gestrickten Schal oder einer Mütze, Tannengrün, einem Schokoladenweihnachtsmann und Dominosteinen für den Nikolaus bereit.

Der Dienststellenleiter mit seinem weißen Vollbart war wie für die Rolle geschaffen und so setzte sich der schwer beladene Nikolaus mit mehreren Säcken in einen Funkwagen und fuhr mit kollegialer Polizeibegleitung und Lena zum Elisabethstift, wo die Heimleitung sie schon erwartete.

Die Freude der Menschen war unglaublich berührend. Kinderaugen hätten nicht intensiver leuchten können.

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 46.47.22

Vor den adventlichen Etüden lädt Christiane noch einmal ein!

Die letzte Wortspende für die Textwochen 46/47 des Jahres 2022 stammt von Ulrike mit ihrem Blog Blaupause7. Sie lautet:

Rolle
halbherzig
belohnen

 

Gedankenverloren starrte Lena aus dem Fenster, unschlüssig, ob sie die Rolle Backpapier nutzen oder weglegen sollte. Sie war hin und hergerissen und eigentlich hasste sie Halbherzigkeiten.

Aber seit Nora in Australien war, fühlte sie sich wie amputiert. Sie gönnte ihr das Studiensemester und hatte sie tatkräftig unterstützt, das Geld dafür anzusparen. Sie selbst hatte sie oft dafür belohnt, wenn sie neben ihrem Studium und ihrem Job in der kleinen Boutique für ihre gehbehinderte und demente Großmutter Besorgungen machte oder sie in bürokratischen Angelegenheiten unterstützte.

Wäre es doch Sommer, Lena würde es leichter fallen, die Zeit alleine besser zu überstehen. Doch jetzt, so kurz vor dem Advent, tauchten all die lieb gewonnenen Rituale und Vorbereitungen für das Fest vor ihrem geistigen Auge auf.

Wie gern hatten sie beide stundenlang Plätzchen gebacken und Sterne für den Weihnachtsbaum gebastelt. Mit viel Liebe und Geschmack hatten sie die Weihnachtsgeschenke verpackt und den Baum geschmückt, voller Erwartung auf den Heiligen Abend, wenn die Familie zusammenkam.

Nun war alles anders. Heiko war aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und versuchte einen zweiten Frühling mit einer viel jüngeren Frau und deren Kindern. Lenas Mutter war nicht mehr mobil, verfiel zunehmend körperlich und auch ihr Geist war mittlerweile von einem großen Haus in ein kleines Zimmer gezogen.Die Familie war nicht mehr zusammen und Lena fröstelte bei dem Gedanken, Weihnachten allein zu verbringen.

Plötzlich hörte sie vor ihrem Küchenfenster Singen und Lachen. Eine kleine Gruppe aus dem Seniorenwohnheim in der Nähe war mit zwei Betreuerinnen unterwegs, Gehstöcke, Rollatoren und ein Rollstuhl zogen mit. Trotz der lausigen Kälte ging es den Damen und Herren offenbar gut, ihre Augen strahlten und sie genossen die Gemeinschaft.

Lenas Halbherzigkeit verwandelte sich in eine entschiedene Entschlossenheit und schon standen alle Backzutaten auf dem Tisch und warteten darauf, verarbeitet zu werden. Sie hatte einen Plan!

300 Wörter

 

 

 

Schreibeinladung für die Textwochen 42.43.22(2)

Die Wortspende zu Christianes Schreibeinladung für die Textwochen 42/43 des Jahres 2022 stammt von Monika mit ihrem Blog Allerlei Gedanken. Sie lautet:

Billard
aktuell
gestalten

 

Des Messers Schneide (2)

Mittlerweile hatte sie eine halbe Flasche Rotwein intus und ihre Gedanken arbeiteten immer noch fieberhaft. Sie sah sich viele Jahre zuvor am Esstisch ihrer Eltern sitzen und ihnen verkünden, dass sie sich exmatrikuliert hatte und anstelle ihres Jurastudiums einen Billardsalon eröffnen wollte.

Auf Verständnis oder gar finanzielle Unterstützung stieß sie keineswegs bei ihren Eltern, die erwarteten, dass die einzige Tochter die elterliche Anwaltskanzlei mal übernehmen und nach dem Vorbild der Eltern als Vollblutjuristin gestalten würde.

Sie setzte trotz der elterlichen Widerstände ihren Plan zielstrebig um und der anfangs kleine Salon war zu einem Poolparadies geworden, in dem Menschen aller Altersgruppen nicht nur Billard und Snooker spielten, sondern darten und kickern konnten. Eine bequeme Loungeecke mit Leinwand, eine große Getränkeauswahl und die Möglichkeit für Privatfeiern mit oder ohne Buffet zog jeden Tag eine große Menschenmenge an. Das hatte nichts mehr mit Jura zu tun und doch war diese Anlaufstelle in der Stadtmitte ein Sammelbecken für Jugendliche geworden, die vielleicht sonst aus Langeweile und Perspektivlosigkeit auf die schiefe Bahn geraten würden.

Sie hatte ihren Traum verwirklicht und konnte von den Einnahmen gut leben, ohne selbst viel dafür zu tun. Nein, das warf sie nicht weg! Sie hatte ihre Leute, denen sie vertrauen konnte. Und sie selbst? Mit Mitte 30 war sie doch keineswegs zu alt, um ihr Jurastudium fortzusetzen und zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.

Gleich morgen früh würde sie sich an der Uni erkundigen, unter welchen Voraussetzungen sie wieder studieren könnte und dann würde sie zu ihren Eltern fahren, um sie mit ihren aktuellen Plänen zu überraschen. Versöhnung nicht ausgeschlossen!

Sie entsorgte die Rasierklinge und machte es sich mit dem restlichen Rotwein auf der Couch gemütlich. Es gab wieder einen Lichtblick.

„Wo sich eine Türe schließt, öffnet sich eine andere.“ Das von Molière stammende Sprichwort schien sich wieder einmal zu bewahrheiten.

300 Wörter

 

Schreibeinladung für die Textwochen 42.43.22

Die Wortspende zu Christianes Schreibeinladung für die Textwochen 42/43 des Jahres 2022 stammt von Monika mit ihrem Blog Allerlei Gedanken. Sie lautet:

Billard
aktuell
gestalten

Des Messers Schneide

Seine wenigen Worte hatten sie bis ins Mark getroffen. Messerscharf hatten sie ihr ins Herz geschnitten. Sie fühlte sich ausgeblutet, von einer Hülle der Leere umfangen.

Alle Vorwarnungen hatte sie beiseitegeschoben, jetzt hallten sie durch den Raum wie kleine Kobolde, die sich in ihrem Leid suhlten und ihr Grimassen schnitten. ‚Lass die Finger von ihm, das geht nie gut.’ – ‚Er ist ein Windhund.’ – ‚Er ist auf der Jagd nach allem, was Röcke trägt.’ – ‚Was willst du mit einem, der so viel jünger ist und bei dem ersten Problem auf uns davon ist?’

Sie hatte ihre Lektion gelernt. Und doch blieb ein Rest dessen, was ihre einsame Seele gestreichelt hatte. Sie konnte zurückblicken auf Stunden, in denen sie beachtet und sich angenommen fühlte, auf Stunden voll zärtlicher Intimität und schmerzlicher Leidenschaft, auf Stunden, in denen sie ganz sie selbst war. Jedes Mal, wenn er zu ihr kam, brachte er ihr eine einzelne rote Rose mit und sie blühte in und mit ihr auf.

Jede einzelne Rose hatte sie getrocknet und in eine bauchige Vase gestellt. Dieser Anblick gestaltete sich mit einer Traurigkeit, die ihr die Augen öffnete. Sie sah sich in ihnen wie in einem Spiegel: ausgetrocknet und verwelkt.

Selbst heute hatte er es sich nicht nehmen lassen, eine Rose mitzubringen, allerdings kam er mit einer gelben Rose. Sie lag immer noch auf dem Esstisch, wie deplatziert auf der aktuellen Fernsehzeitung und das satte Gelb grinste sie förmlich an. Voller Zorn nahm sie eine Billardkugel und schlug auf die zarte Blüte ein, bis sie platt und verletzt vor ihr lag.

Sie ließ ihren cremefarbenen Bademantel fallen, stieg in das heiße Schaumbad und legte sich die beiden Gegenstände zurecht, die sie noch brauchte: ein Glas mit rubinrotem Wein und eine Rasierklinge.

Sie war fest entschlossen, das letzte Restchen Leben in ihr auszuhauchen.

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 40.41.22 (2)

Christiane lädt wieder ein!

Die Wortspende für die Textwochen 40/41 des Jahres 2022 stammt von Werner Kastens mit seinem Blog Mit Worten Gedanken horten. Sie lautet:

Zeitlupe
behäbig
verprassen

Der Oktoberwind säuselte leise, fast schon behäbig vor sich hin. Die Sonne wusste, weshalb er sich so verhielt und nicht ein Quäntchen Energie zu viel verprassen wollte.

In diesen Tagen standen die Sterne günstig und die atmosphärische Zirkulation verlief in ruhigen Bahnen.

Die Menschen nahmen bewusst, aber auch wehmütig Abschied vom heißen trockenen Sommer und versuchten in der neuen Jahreszeit das Bunte und Schöne, was die Natur ihnen bot, in sich aufzunehmen.

Die Sonne freute sich so darüber und setzte die farbigen Blätter der Bäume in ein so warmes Licht, dass die Augen sich nicht sattsehen konnten. Hin und wieder segelte ein Blatt in Zeitlupe zur Erde, so sanft und geräuschlos, als wolle es diese heilige Stille nicht stören.

Ein Jahr ging langsam auf sein Ende zu, darüber konnte auch der goldene Oktober nicht hinwegtäuschen. Doch die Hoffnung auf neues Leben nach einer wohlverdienten Ruhepause von Mutter Natur tröstete über die beginnende Vergänglichkeit hinweg.

Ein neues buntes Jahr würde kommen!

160 Wörter

 

Schreibeinladung für die Textwochen 40.41.22

Christiane lädt wieder ein!

Die Wortspende für die Textwochen 40/41 des Jahres 2022 stammt von Werner Kastens mit seinem Blog Mit Worten Gedanken horten. Sie lautet:

Zeitlupe
behäbig
verprassen

 

„Die Strafe folgt auf dem Fuß“! Dieses Zitat, das er sich von seiner Mutter bis zum Erbrechen anhören musste, wenn er mal wieder nicht nach ihrer Pfeife getanzt hatte, hämmerte in seinem Kopf.

Die Augen starr auf die Uhr gerichtet, schien die Zeit für ihn still zu stehen. Und doch bewegte sich der Sekundenzeiger – tick – tack – tick … Hin und wieder wurde jemand aufgerufen und verschwand durch eine geheimnisvolle Tür mit der Nummer 1 oder 2, doch mehr tat sich nicht. Das Leben in diesen Räumen verlief in Zeitlupe und er stand kurz entschlossen auf, versicherte sich der Zigaretten und des Feuerzeuges in seiner Jackentasche und ging nach draußen.

Was wollte er hier? Diese Warterei ging ihm auf die Nerven. Er inhalierte den würzigen Tabak tief bis in die letzten Lungenspitzen und sofort überkam ihn ein heftiger Hustenanfall. Da war es wieder, dieses Stechen und ein kurzer messerscharfer Schmerz durch den Oberkörper.

Vor zwei Jahren hatte er noch etliche Kilos mehr auf den Rippen und Hüften und einen entsprechend behäbigen Gang. Nun war er nur noch ein Strich in der Landschaft, fahrig in seinen Bewegungen und übernervös.

Er konnte sich nicht erinnern, nach seiner Kinder- und Jugendzeit je zum Arzt gegangen zu sein. Wozu auch? Es ging ihm doch eigentlich immer gut und wenn etwas war, verprasste er sein Geld in der Apotheke.  Dort bekam er alles, was er wollte.

Jetzt als frisch gebackener Rentner zog es ihn dann doch in eine Arztpraxis, denn sein Gewichtsverlust gab ihm zu denken. Für seinen Ruhestand hatte er andere Pläne als das Kranksein.

Er sah seine Mutter vor sich und hatte den besagten Spruch im Ohr.

Kurzentschlossen verzichtete er auf den ärztlichen Befund und ging nach Hause, um Koffer zu packen. In fünf Stunden ging sein Flieger nach Australien. Sterben ließ sich überall.

300 Wörter