Der Weihnachtshund

Helena  schlenderte vergnügt durch die stillen Straßen, schaute abwechselnd mal nach rechts, mal nach links und erfreute sich an den bunten und  festlich geschmückten Fenstern. Sie hatte den Heiligen Abend mit ihren Eltern und Geschwistern in ihrem Elternhaus verbracht. Tief in ihrem Herzen war ein stiller  Frieden, wie sie ihn lange nicht erlebt hatte. So schön, wie der Tag  auch gewesen war,  sie freute sich auf ihre kleine, gemütliche Wohnung, in der sie den Abend bei einem Glas Rotwein für sich ausklingen lassen wollte. Den Schatten eines Mannes, der ihr seit einer Weile im sicheren Abstand von etwa zehn Metern folgte, bemerkte sie nicht.

Kleine Schneeflocken tänzelten vom Himmel und legten sich sanft auf den kalten Asphalt. Helena stoppte unvermittelt. Vor ihr auf dem Bürgersteig saß ein Schäferhund und blickte sie gerade heraus an.

 „Nanu, wo kommst du denn auf einmal her?“, fragte sie und schaute ihn erstaunt an. „Hat man dich etwa ausgesetzt?“

Er hatte ein wunderschönes helles Fell, das im sanften Licht der Straßenlaterne leuchtete.

„Nimmst du mich mit?“

Helena blickte sich erstaunt um, aber außer ihr und dem Hund dort war niemand zu sehen.

Irritiert blickte sie den Hund an. Das war doch nicht möglich, nein, auf keinen Fall. Nach zwei Gläsern Sekt konnte sie unmöglich Stimmen hören. Sie schaute sich noch einmal suchend  um, dann betrachte sie den Schäferhund genauer.

Sie schaute in sein rehbraunes Auge, das sie so flehentlich ansah, dass ihr das Herz schwer wurde.

„Wie stellst du dir das vor? Ich kann dich doch nicht einfach mitnehmen. Du hast doch sicher ein Herrchen oder Frauchen, die dich längst vermissen.“

Sie betrachtete den Schäferhund genauer. Er trug kein  Halsband, aber das besagte gar nichts. Ein so gepflegter Hund konnte kein Streuner sein. Und – das hatte sie noch nie gesehen – er hatte zwei unterschiedliche Augen. Von einer Seite sah er aus wie ein Schäferhund, von der anderen wie ein Husky.

„Nun komm schon, oder willst du warten, bis wir beide völlig durchnässt sind?!“, und keine weitere Antwort abwartend, stand der Hund auf und trottete weiter.

Helena war so perplex, dass sie ohne ein weiters Wort mit ihrem vierbeinigen Begleiter  weiter ging. Artig hob er an der Kastanie vor ihrem Haus das Bein und trottete hinter ihr die Stufen bis zur zweiten Etage hinauf.

Sie bereitete ihm im Schlafzimmer vor ihrem Bett auf einer Wolldecke ein gemütliches Lager, nachdem er sich satt gefressen hatte. Helena dachte an Trixi, ihre alte, treue Schäferhündin, die sie vor knapp einem Jahr hatte einschläfern  lassen müssen und schon schossen ihr die Tränen in die Augen.

Morgen würde sie den Hund in ein Tierheim bringen und morgen würde ihr Kopf auch wieder klar sein. ‚Ein sprechender Hund, so ein Quatsch!“, schalt sie sich innerlich und schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie begann sich auszuziehen, drehte sich noch einmal um und betrachtete ihren  neuen Schlafzimmergefährten.

„Und du drehst dich jetzt um, schließlich bist du ein Rüde!“.

Statt einer Antwort schaute sie der Hund aus seinem strahlend blauen Auge schläfrig an, rollte sich ein wie ein Embryo und  verfiel in einen tiefen Hundeschlaf. Helena verzichtete auf ihr Glas Rotwein, ging ebenfalls ins Bett und betrachtete nachdenklich ihren neuen Mitbewohner.

„Ich muss mal raus! Hättest du die Tür nicht abgeschlossen, hätte ich sie mir selbst aufgemacht. Du brauchst mir zu aufschließen, um alles andere kümmere ich mich.“

Helena erstarrte unter ihrer kuscheligen Bettdecke. Da war sie wieder – die Hundestimme von gestrigen Abend. Vorsichtig lugte sie mit einem Auge unter ihrer Bettdecke hervor. In ganzer Schönheit stand der Schäferhund mit beiden Vorderpfoten auf ihrer Bettkante und blickte sie flehend an. Sie stand auf, schloss die Wohnungstür auf, ließ den Hund hinaus und legte sich abwartend wieder hin. Nach wenigen Minuten kam er zurück, drückte die Wohnungstür zu und legte sich wieder auf sein Nachtlager.

„Tut mir Leid, dass ich dich wecken musste, aber ich wollte dir Unangenehmeres ersparen“, murmelte er, bevor seine müden Schäferhundaugen erneut zufielen.

Helena schlief auch wieder ein, verfiel aber in einen sehr unruhigen Schlaf. Sie wälzte sich hin und her und träumte so viel Unsinn zusammen, dass sie kurze Zeit später aufstand und sich einen starken Kaffee kochte. Sie musste sich konzentrieren. Sie rief ihre Mutter an und bedankte sich noch einmal für den  schönen Abend. Allen in ihrer Familie schien es gut zu gehen, so dass es vermutlich nicht am Sekt lag, dass sie die Stimme des Hundes gehört hatte.

„Du bist ja schon auf“, ertönte die Stimme des Hundes hinter ihr. Sie betrachtete ihn genauer. Er schaute sie eindringlich mit seinem braunen Auge an.   Sobald er seinen gefüllten Fressnapf erblickt hatte, machte er sich gierig über sein Frühstück her.

„Hast du auch einen Namen“?, frage Helena ihn unvermittelt.

Er schaute sich kurz zu ihr um.

„Robin“, antwortete er uns fraß genüsslich weiter.

„Wie hast du dir das vorgestellt, Robin? Du kannst nicht hier bleiben, denn ich bin überzeugt, dein Herrchen oder Frauchen sucht dich bereits. Ich schlage vor, wir gehen zur Polizei und erkundigen uns, ob dich jemand als vermisst gemeldet hat. Was meinst du? Wenn nicht, bringe ich dich ins Tierheim.“

Robin leckte sich mit seiner langen roten Zunge das Maul, schlabberte ein wenig Wasser, streckte sich lang vor Helenas Füßen aus und sagte:

„Das ist unnötige Zeitverschwendung. Es ist meine Aufgabe, eine Weile bei dir zu bleiben und auf dich acht zu geben.“

„Wer sagt das?“

„Das kann ich dir nicht sagen, ich weiß aber, dass es so ist.“

Helena blickte Robin irritiert an. Dabei fiel ihr auf, dass sie seine Sprache nur verstand, wenn er sie mit seinem braunen Auge direkt ansah. Hatte er ihr das andere zugewandt, wirkte er eher teilnahmslos.

„Wie stellst du dir das vor? Ich habe zwar jetzt ein paar Tage frei, aber nicht die Absicht, mein Leben nach dir zu richten.“

„Das musst du doch auch nicht. Wenn du dafür sorgst, dass ich zu fressen habe und raus kann, wenn ich mal meine Schäferhundbedürfnisse habe, ist doch alles in Ordnung. Du kannst mich überall mit hinnehmen, ich bin gut erzogen.“

„Wenn dich aber jemand reden hört, was auch ich in höchstem Maße seltsam finde, was soll ich dann machen? Die anderen halten mich vielleicht für übergeschnappt?“

Für einen Moment schien es ihr, als lächelte Robin.

„Mach dir darüber mal keine Sorgen. Dass du meine Sprache verstehst, merkt niemand sonst. Und das ist auch nur für eine bestimmte Zeit der Fall, dann erlischt dieser Zauber und meine Mission bei dir ist für mich beendet. Ich werde dann wieder dorthin gehen, woher ich gekommen bin.“

Helena gefiel der Gedanke, wieder einen Hund in ihrer Nähe zu haben. Nach Trixis Tod hatte sie zwar noch Klaus, ihren Lebensgefährten, doch der zog es vier Monate später vor, sich mit einer Jüngeren zu liieren und schlagartig mit Sack und Pack auszuziehen. Helena zog sich sehr zurück und litt unter der Stille in der Wohnung und ihrer eigenen Einsamkeit. Der Frühling und der Sommer fanden mehr oder weniger ohne sie statt, sie war mit ihrer eigenen Trauer zu sehr beschäftigt, dass das Erwachen und Reifen in der Natur nicht bis zu ihrem Herzen vordringen konnte.  Zum Herbst hin kündigte  sie ihre Arbeitsstelle in der Stadtbibliothek und begann als Bibliothekarin in einem kleinen Buchladen in der Innenstadt. Peter, ihr Chef, war ein reizender und charmanter Mann, der sie langsam, aber sicher aus ihrem Schneckenhaus befreite. Sie wusste, dass er verheiratet war und doch fand sie nichts dabei, hin und wieder nach Feierabend mit ihm Essen oder ins Kino zu gehen. Er war ein aufmerksamer und interessanter Gesprächspartner.

Als ihr klar wurde, dass sich ihre Sympathie für ihn in  eine gewisse Verliebtheit gewandelt hatte, kostete es sie alle Mühe,  ihre wahren Gefühle vor ihm zu verbergen.

Zum Nikolaustag schenkte er ihr eine feingliedrige silberne Halskette, legte sie ihr in einem sündhaft teuren Lokal vor dem Essen um den Hals und küsste sie zärtlich in den Nacken. Helena wich scheu zurück. Das wollte sie nicht, schon gar nicht nach dem Chaos, das Klaus in ihrem Innersten hinterlassen hatte und erst recht nicht mit einem verheirateten Mann.

Sie wehrte sich gegen ihre Gefühle. Und doch, als er mal beiläufig von seiner Ehe, die angeblich nur noch auf dem Papier bestand erzählte, keimte ein Körnchen der Hoffnung in ihr auf. Sie wartete ab, ohne ihn in irgendeiner Form zu drängen.

Und heute war der Tag, an dem sie bei ihm und seiner Frau zum Essen eingeladen war. Wie hatte sie nur zusagen können? Eine innere Aufregung legte sich krampfartig um ihre Magengrube und wandelte ihre anfängliche Freude in blanke Nervosität um. Und nun hatte sie Robin. Konnte sie ihn einfach mitnehmen? Sie wusste doch gar nicht, ob ein unangemeldeter Hund Peter und seiner Frau willkommen waren. Möglicherweise hatten sie gerade eine läufige Hündin, der Robin schmachtend den Hof machen würde. Auf was ließ sie sich da bloß ein?

Als hätte Robin ihre Gedanken erraten, blickte sein braunes Auge sie fest an.

„Ich habe dir versprochen, mich zu benehmen. Mach dir lieber mal Gedanken darüber, was du anziehen willst.“

Helena nahm ein heißes Bad, nachdem sie Robin gnadenlos aus ihrem Badezimmer ausgesperrt hatte. Das heiße Wasser beruhigte ihr Gemüt. Peter wusste nichts von ihren Gefühlen für ihn und dabei sollte es auch bleiben. Und sollte er sich auch in sie verliebt haben, bliebe abzuwarten, was daraus würde.

Robin war ihr ins Schlafzimmer gefolgt und beäugte sie kritisch. Sie hatte fast alles durchprobiert, was an Garderobe heute für sie in Frage käme. Das schwarze Kleid hielt er für zu aufdringlich, das beige Kostüm für zu bieder, ein geblümtes Kleid für nicht festlich genug, immer wieder schüttelte er den Kopf oder zog seine Schäferhundschnauze kraus.

Endlich war er einverstanden. Sie hatte sich für eine schwarze Hose mit einer champagnerfarbenen Bluse entschieden, dezent, feierlich und für diesen Anlass passend. Ihre blonden langen Haare flocht sie zu einem französischen Zopf und dezent geschminkt musste sie Robin recht geben. Ihr Spiegelbild gefiel ihr ausnehmend gut.

Nach einer ausgiebigen Schäferhundgassirunde wickelte Helena ihren weihnachtlichen Strauss aus und klingelte an der Tür des einladenden Anwesens.

Peters Frau Simone öffnete die Tür. Helena blickte in ein freundlich lächelndes Gesicht, warme braune Augen waren auf sie gerichtet und mit einer herzlichen Begrüßung bat sie Helena, einzutreten. Simone war von einer umwerfenden grazilen Schönheit und Herzlichkeit, dass es Helena im ersten Moment die Sprache verschlug.

Peter kam strahlend lächelnd auf sie zu und nahm ihr den Mantel ab.

„Ich wusste gar nicht, dass du einen Hund hast. Und dazu noch einen so schönen und gepflegten.“ Auch Simone schien von Robin angetan und kraulte ihn bereits hinter den Ohren.

„Erzählte ich das nicht“? wand sich Helena gekonnt aus der Affäre. „Er lebt die meiste Zeit bei meinen Eltern. Dort im Garten hat er mehr Freude als in meiner Stadtwohnung.“ Sie war froh, dass ihr diese glaubhafte Ausrede eingefallen war. Was hätte sie auch sonst sagen sollen? ‚Er ist mir gestern Abend zugelaufen und das Tollste ist, dass er sprechen kann?’

Außer Helena waren ein befreundetes Pärchen von Simone und Peter und Olaf, ein Cousin von Simone, eingeladen, der gerade mit Begeisterung an seiner Magisterarbeit schrieb und demzufolge liebend gern das Gespräch immer wieder darauf lenken wollte.

Helena fühlte sich auf Anhieb wohl in dieser kleinen Runde. Robin hatte an der Terrassentür Platz genommen und obwohl er so tat, als ginge ihn das alles nichts an, entging ihm keine noch so winzige Kleinigkeit. Weder die verstohlenen Blicke, mit denen Helena Simone beobachtete, noch die deutlichen Blicke von Peter, die oftmals an Helenas Körperstellen hafteten, die für ihn als verheirateter Mann absolut tabu sein sollten. Olaf versuchte immer wieder vergebens, Helena in tiefschürfende Gespräche über deutsche Literaturgrößen zu verwickeln, aber sie unterhielt sich lieber mit Simones Freundin Hannah über gesunde Ernährung und allerneueste Fitnesstrends. Nach einem ausgiebigen Raclette-Essen zogen sich die Männer zu einem edlen Tropfen zurück und den drei Frauen mangelte es nicht an immer wieder aktuellem Gesprächsstoff.

Gegen halb neun verabschiedete sich Helena, bedankte sich für die Einladung und den schönen Nachmittag und Abend  und fuhr mit Robin nach Hause. Simones Abschiedsworte klangen noch in ihren Ohren nach. „Ich freue mich, Sie kennengelernt zu haben. Peter ist so von Ihnen angetan. Das Geschäft macht enorme Umsätze, seid Sie da sind. Und ich wollte endlich mal wissen, wer solch ein glückliches Händchen dafür hat. Der Buchladen hat eine lange Familientradition, die Peter sehr am Herzen liegt. Aber es hat nicht so ein Geschick damit. Zum Glück hat er Sie nun und darüber bin ich sehr froh.  Ich hoffe, Helena, Sie besuchen und bald wieder mal.“ Als Simone Helena zum Abschied die Hand reichte, glaubte Helena, an Simone ein leichtes Babybäuchlein entdeckt zu haben.

Dass die Ehe nur auf dem Papier bestände, daran hatte Helena erhebliche Zweifel. Peter hatte seine Frau aufmerksam, zuvorkommend und wie ein Gentleman  behandelt. Nichts deutete auf eine zerrüttete Ehe hin. Diese Klarheit war zwar schmerzhaft, aber sie ernüchterte Helena schlagartig. Peter war ihr Chef und dabei sollte es auch bleiben!

Sie drehte mit Robin noch eine ausgiebige Runde durch den Stadtpark und ging dann mit ihm heim.

„Du hast dich tadellos benommen, Robin“, lobte sie ihn und gab ihm zur Belohnung ein extra Würstchen.

„Du auch“, erwiderte Robin. „Aber deine Gedanken und Gefühle scheinen bei dir gerade Karussell zu fahren. Kann es sein, dass du in deinen Chef verliebt bist?“

„Und wenn schon, was geht dich das an“,?  platzte es lauter aus ihr heraus, als sie es beabsichtigt hatte.

Robin schaute sie ernst an. „Lass die Finger davon. Er sucht nur ein Abenteuer, mehr nicht. Es ist dir wohl nicht entgangen, dass Simone schwanger ist? Ich habe ihn beobachtet, er findet dich attraktiv, ohne Frage, aber das ist nichts Ernstes. Und bei aller Verliebtheit, Helena, bist du über den Auszug von Klaus doch noch gar nicht richtig hinweg“.

Fassungslos schaute Helena Robin an. Woher wusste er das alles? Was befähigte diesen Hund, in ihr Innerstes zu blicken und ihre geheimsten Gefühle zu durchschauen?

Sie mochte Simone und würde gern näher mit ihr befreundet sein, aber das ging nur, wenn sie Peter als ihren Chef und als nichts anderes ansehen würde. Aber das war ihr die Sache wert. Und Robin hatte recht, Klaus beherrschte ihre Gedanken immer noch. Nach seinem Auszug, den er ohne ihr Beisein vollzogen hatte, war ihre Enttäuschung und Trauer in grenzenlose Wut umgeschlagen. Da war noch so viel offen, so viel unausgesprochen. Aber ihr Stolz hatte es ihr nicht erlaubt, ihn anzurufen. So litt sie lieber still vor sich hin, beantwortete sich die eigenen Fragen mit immer wieder neuen Fragen und kam letztendlich keinen Schritt weiter. Ihre Gefühlsebene hatte sich  verschoben, von Liebe war nichts mehr übrig.

 Am zweiten Weihnachtstag zeigte sich die Sonne in voller Pracht und weckte Helenas Abenteuerlust.

„Lass uns rausgehen und einen langen Spaziergang durch den Wald machen“, schlug sie Robin vor, der freudig mit dem Schwanz wedelte. Sie wollten die Wohnung gerade verlassen, als es an der Tür klingelte.

„Auch das noch“, seufzte Robin und legte sich wieder hin. Das kann dauern!

Verwundert öffnete Helena die Tür und erblickte – Klaus. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.

„Duuuu? Du wagst dich noch hierher?“, entfuhr es ihr.

„Darf ich reinkommen?“

„Nein, darfst du nicht. Wie du siehst, bin ich gerade im Aufbruch. Komm Robin, wie gehen!“

„Ich sehe, du hast dich mit einem neuen Hund getröstet“, versuchte Klaus das Gespräch wieder in Gang zu bringen.

„Nicht nur mit einem neuen Hund“,  antwortete Helena schnippisch, bemüht, ihre Fassung nicht vollständig zu verlieren.

„Helena, lass uns reden. Ich denke, ich bin dir ein paar Erklärungen schuldig.“

Reinen Tisch machen,  Antworten auf ihre Fragen zu bekommen, das lag auch in Helenas Sinn. Sie nahm Klaus Einladung zu einem Cappuccino beim Italiener am Ende der Straße an. Während der folgenden zwei Stunden lag Robin aufmerksam unter dem Tisch, bemüht, dass ihm auch nicht ein Wort entging.

Helena bemühte sich in dem Gespräch um Sachlichkeit. Je mehr sie merkte, dass es Klaus mit dem angeblich größten Fehler seines Lebens wahrhaft schlecht ging, desto ruhiger wurde sie. Seine angebliche Flamme hatte ihn nach kurzer Zeit nach Strich und Faden belogen und betrogen und zu guter letzt hatte sie sich mit dem Geld von seinem Konto ins Nirwana abgesetzt. Es erfüllte sie mit Genugtuung, dass sie ihren langen Leidensweg nun innerlich beenden konnte, während er mitten drin saß. Pech für ihn, er hatte es sich selbst zuzuschreiben.

Sie verabschiedete sich von ihm, kühl und distanziert, ohne einen Funken Mitleid in der Stimme und verließ das Restaurant. Sie fühlte sich gut. Sie konnte das Kapitel Klaus zu den Akten legen.

Sie verbrachte mit Robin unbeschwerte Stunden.

Der Silverstermorgen war angebrochen. Am Ende einer ausgiebigen Gassirunde hielt Helena beim Bäcker an, um sich für die Silvesternacht zwei Pfannkuchen zu kaufen. Sie würde den Abend allein mit Robin und dem Fernseher verbringen. Zwei Einladungen zu einer Silvesterparty hatte sie abgesagt. Sie war noch nicht so weit, als Single inmitten anderer Paare unbeschwert zu feiern.

Sie legte ihr Geld passend auf die Theke und wand sich um, um zu gehen. Unbeabsichtigt rammte sie mit einer Pfannkuchentüte in der einen und einer Brötchentüte in der anderen Hand einen jungen Mann, der dicht hinter ihr gestanden hatte.

„Ich glaube es nicht, Helena! Du bist es tatsächlich!“

Irritiert blickte Helena in zwei tiefblaue Augen  und schien darin vollkommen zu versinken.

„Marco? Was machst du denn hier?“ Im gleichen Moment hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Was man in einer Bäckerei wollte, war ziemlich offensichtlich.

Die Verkäuferin fragte zum zweiten Mal, diesmal etwas ungeduldig, was denn der junge Herr wünsche.

„Warte auf mich, ich komme gleich.“

Helena ging raus zu Robin, bemüht, ihre Fassung wiederzuerlangen. Wie in Film spulte es sich vor ihrem inneren Auge ab, Marco und sie, eine zärtlich beginnende Liebesgeschichte, als sie beide im ersten Semester an der Uni waren. Sie studierte Bibliothekarswissenschaften und Germanistik, er Jura. Und dann das jähe Ende, als Marco auf Drängen seiner Eltern sein Studium in den USA fortsetzte und beendete. Sie schrieben sich noch eine Weile, aber für Helena war diese Situation eher belastend als erfreulich, und sie brach den Kontakt schweren Herzens am Ende des zweiten Semesters ab.

Sie hatten nie wieder voneinander gehört und sie hatte auch lange nicht mehr an ihn gedacht. Und nun stand er vor ihr, fast so wie sie ihn in Erinnerung hatte. Sein einst volles Haar war ein wenig schütter und grau geworden und die Jahre hatten ihm ein paar Körperpfunde mehr eingebracht. Doch er hatte an Attraktivität nichts eingebüßt.

„Seit wann bist du wieder hier“?

„Seit genau einer Woche. Ich bin an Heiligabend angekommen und werde zum ersten Januar die Kanzlei meines Vaters übernehmen. Mein alter Herr hat sich nun endlich entschlossen, sich zur Ruhe zu setzen und das Zepter aus der Hand zu geben. Ich freue mich so, dich wiederzusehen, Helena.“

„Ich freue mich auch, ehrlich“, antwortete sie leise. In ihrem Inneren begann sich schon wieder alles zu drehen. Peter, Klaus und Marco – das war alles ein wenig viel für sie.

„Sicher hast du heute Abend schon etwas vor?“ fragte Marco, bevor Helena einen klaren Gedanken fassen konnte.

„Ich habe mich noch nicht entschieden, das ist bei mehreren Einladungen nicht so einfach“, flunkerte sie. Nicht auszudenken, was Marco denken würde, wenn er wüsste, dass sie und Robin an solch einem Abend allein zu Hause säßen.

„Bitte, komm heute Abend zu uns, ins Haus meiner Eltern. Bis ich eine eigene Wohnung habe, wohne ich dort. Ich habe einige Freunde aus unserer gemeinsamen Unizeit eingeladen. Du kennst sie alle und sie würden sich bestimmt alle sehr freuen, dich zu sehen. Und ich mich ganz besonders,“ fügte er lächelnd hinzu.

Helena sagte zu, ohne zu überlegen.

Auf dem Heimweg blickte sie Robin liebevoll an, der artig neben ihr hertrottete.

„Seit du da bist, geht es bei mir drunter und drüber, fällt dir das eigentlich auch auf?

„Es wurde Zeit, dass ein wenig Bewegung in dein Leben kommt, findest du nicht?“

Helena  hatte noch Zeit, sich ein Stündchen aufs Sofa zu legen.

Bevor sie sich Gedanken um ihre Garderobe machen konnte, schlug Robin ihr das kleine Schwarze vor, in dem sie äußerst sexy und attraktiv aussah.

„Heute Abend bleibe ich aber hier“, meinte Robin beiläufig. So viel Krach ist nichts für meine Hundeohren. Und ich weiß, dass du dich heute bestens amüsieren wirst.“

Nachdenklich blickte Helena Robin an. Sie empfand eine so große Liebe zu ihrem neuen Begleiter, dass sie ihn noch einmal herzlich drückte und streichelte, bevor sie ging.

 Kaum hatte Helena das Haus verlassen, machte Robin sich auf seinen Weg. Er wusste, dass Helena in der kommenden Nacht bei Marco bleiben würde und von nun an mit ihm den richtigen Weg einschlagen würde.

Leise machte er die Wohnungstür auf, und machte sich auf den Weg dorthin, wo er hergekommen war, zur Regenbogenbrücke, an deren Ende Trixi schon sehrsüchtig auf ihn warten würde.

Seine  Mission auf Erden war beendet.

© aus:  G. Bessen: ‚Wenn das Jahr zu Ende geht’ (2014)

    Foto: G. Bessen:  Australischer Schäferhund

 

PERFECT TIMING

Perfect timing

Im Abstand von drei Minuten versuchen unterschiedliche Alarmsignale den komatösen Zustand zu beenden. Als Antwort gibt es lediglich einen unsanften Stups, zielgerichtet auf eine nahe Schlummertaste.

„Heute ist Freitag, der 15. November,… es ist sieben Uhr und fünf Minuten … Wolkendecke,… gelegentliche Aufheiterungen … Höchsttemperatur 6 Grad …“ dann der ultimative Klick und alles läuft wie am Schnürchen. Wenige Augenblicke später röhrt die Kaffeemaschine vor sich hin und eine heiße, braune Flüssigkeit gleitet sanft und wohl riechend in die Glaskanne. Mittlerweile wird auch der Rest der Mannschaft wach. Der Hausherr verschwindet verschlafen im Badezimmer, ein müder Vierbeiner sitzt an der Eingangstür, macht einen Katzenbuckel, streckt und rekelt sich und schaut verschlafen in den kühlen Garten, unschlüssig, ob er das erste ‚Austreten‘ mit einem weiteren Schlummer im Körbchen eintauschen sollte.

Nach der ersten Tasse Kaffee lässt das Rheuma in den Augen nach und die Lebensgeister erwachen, Sinn für Sinn.

Noch jeden Morgen müssen die jahrzehntelang eingeübten Handgriffe sitzen, vom Betten machen bis zum Duschen. Beim Haarewaschen wird das Outfit des heutigen Tages gedanklich durchgespielt, in Abhängigkeit von den zu erwartenden In- oder Outdoor-Aktivitäten und eventuell zusätzlichen spontanen Unternehmungen.

Jeans sind immer die praktischste Variante, dazu etwas Kurzärmeliges und eine Weste oder leichte Strickjacke oder ein Pullover. Wenn das Grobe soweit in Sack und Tüten ist, kommen die Feinheiten.

Die zweite Tasse Kaffee wandert mit ins Bad, denn der Kampf mit den Kontaktlinsen beginnt. Fatal, wenn man bei noch nicht hinreichender Konzentration rechts und links verwechselt. Dann ist der Blick den ganzen Tag aus der Bahn geworfen. Und nicht jeden Morgen sind Kontaktlinsen bereit, an Ort und Stelle zu haften. Der Herr des Hauses wartet jeden Morgen auf den gellenden Aufschrei „Komm mal bitte und bring die Taschenlampe mit.“ Kontaktlinsen auf weißen Bodenfliesen zu suchen, macht am Morgen wach, aber so was von hellwach.

DER Schrei kommt nicht, dafür aber ein unmissverständliches „Sch…“. Der Herr des Hauses hält den Atem an, ist sprungbereit, um jede erdenkliche Form der Ersten Hilfe zu leisten. Die Dame des Hauses sprintet hoch, reißt die Kleiderschranktür auf und greift mit einer einsetzenden Schimpfkanonade nach einem neuen Oberteil.

„Was ist passiert?“, fragt der Herr des Hauses ein wenig nervös. Statt einer Antwort bekommt er das dunkle Shirt mit einem deutlichen Zahnpastaklecks in Busenhöhe vor die Nase gehalten. Der gut gemeinte Versuch, die Sache zu entschärfen, wie „Hat die Erde heute wieder eine besondere Anziehungskraft?“, wird lediglich mit einem stummen bösen Blick beantwortet. Er kann sich getrost seiner Aufgabe widmen, das Frühstück weiter vorzubereiten.

„Ich glaube es nicht!“ Die Tonlage verrät: Gewitter im Anmarsch. Der Vierbeiner hat es sich anders überlegt, hat die angelehnte Tür gesehen und marschiert eine Runde durch den Garten. Die Regel „Ich-bleibe-an-der-Tür-sitzen-bis-die-feuchten-Pfoten-sauber-gewischt-sind“, hat ihm heute Morgen niemand zugeflüstert und ist damit gerade außer Kraft gesetzt.

Mit einem freudigen Satz springt er an Frauchens Hosenbeinen hoch, als hätte er sie ewig nicht gesehen. Die hellblaue Jeans wäre das gefundene Fressen für jede Spurensicherung. Deutlich zeichnen sich die schmutzigen Pfoten am rechten und am linken Hosenbein ab.

Der Frauchen-Blick spricht Bände, die blaue Jeans wird durch eine schwarze ersetzt. Der Herr des Hauses geht vorsorglich in Deckung, denn würde er nun doch seine Lieblingsbemerkung loslassen „Schatz, du bist spät dran!“, wäre ein Donnerwetter wohl zwangsläufig die Folge. Zwischen einer herunter geschlungenen Scheibe Toast, einem erneuten schnellen Zähneputzen und dem Griff nach Tasche und Autoschlüssel ist eines klar: Der Morgen ist aus dem Zeittakt geraten.

Der Herr des Hauses versucht nicht hinzuhören, als die Gattin viel zu schnell vom Hof reitet. Das arme Auto, denkt er nur. Ohne Hindernisse ist der Weg zum Ziel in 20 Minuten zu schaffen, die normale Zeit beträgt 30 Minuten. Auf der Straße durch den Wald, der um diese Zeit noch unter Nebelschwaden liegt, sind die Risiken enorm. Von rechts und links können sie kommen, einzeln oder in Rudeln. Keine Radfahrer, keine Autos, auch keine Weihnachtsbäume von oben, sondern Wildschweine und anderes Getier. Die Augen laufen zu Höchstleistungen auf, denn die Kontaktlinsen haben sich formvollendet an den Tränenfilm des Auges angepasst und schwimmen gleichförmig in der Augenflüssigkeit mit.

Am Ortseingangsschild hat die vernünftige Fahrweise mit Tempo fünfzig wieder Vorrang, an dieser Stelle gibt es häufig so etwas wie ‚Wetterleuchten‘ und das ist auf Dauer eine Menge Geld.

Nun noch eine seit Wochen aufgestellte Baustellenampel. Aus völlig unerfindlichen Gründen ist das Rechtsabbiegen plötzlich nur noch für Einsatzfahrzeuge gestattet. Baustellenampel grün, – der Blick nach rechts – den Blinker gesetzt und abgebogen (gelernt hat sie das von einer Nachbarin, die sich den morgendlichen Umweg von mindestens fünf Minuten und drei Ampeln inzwischen erspart). Außerdem ist man auf dem Weg zum Arzt im Einsatz und somit auch ein Einsatzfahrzeug.

Die allerletzte Hürde ist die Parkplatzsuche. Die verlorene Doppel-Anziehzeit ist wieder aufgeholt, der dringend benötigte Parkplatz wartet bereits wie ein Geschenk und ein Blick auf die Uhr zeigt, dass alles wieder im Zeitfenster ist.

Pünktlich zum Termin steht sie vor der Zahnarztpraxis. Nach einem fröhlichen „Guten Morgen“ mit Zahnpastalächeln kann der Tag beginnen.

Und – wer abends nicht ins Bett kommt, weil er eine Nachteule ist, wird am Morgen nicht zur Lerche, auch nicht als Rentnerin.

© G. Bessen

 

 

Tratsch im Treppenhaus

In diesem Haus ging es zu wie in der berühmt-berüchtigten ‚Lindenstraße’. Die Mietergemeinschaft, die nach Fertigstellung des Neubaues Anfang der sechziger Jahre dort eingezogen war, hatte sich auf Irmchen und Hildegard reduziert. Ein Teil bewohnte inzwischen den städtischen Friedhof, ein anderer Teil lebte im Seniorenheim.

Irmchen und Hildegard hatten längst vor, sich auch einen Platz im Seniorenheim zu suchen, doch der häufige Mieterwechsel im Haus bot ihnen immer interessante Neuigkeiten, die ihren knapp achtzigjährigen Horizont erweiterten. Das Haus hatte mittlerweile viel vom inneren und äußeren Glanz eingebüßt, aber es war trocken, stabil gebaut und unverwüstlich, wie die beiden älteren Damen aus der Gründerzeit. Die Mieten waren erschwinglich, die Wohnungen hell und freundlich und so zog es Studenten und andere junge Leute ins Haus. Und im Zeitalter der multikulturellen Gesellschaft war das Haus ein ganz normales Mietshaus mit jugendlichem weltoffenem Flair.

Irmchen und Hildegard waren seit Jahrzehnten Nachbarinnen und inzwischen unzertrennliche Freundinnen, nachdem sich die alte Garde so nach und nach verabschiedet hatte. Der tägliche Höhepunkt ihres manchmal recht eintönigen Rentnerdaseins war der Besuch im Cafe gegenüber. Dort trafen sie sich Nachmittag für Nachmittag bei einem Kännchen Kaffee und einem Stück Torte. An einem extra für sie reservierten Tisch saßen sie dem Haus in der Goethestraße Nummer drei gegenüber und beobachteten, was sich Neues ereignete. Sie kannten die wenigsten Mieter persönlich, aber durch ihre täglichen Beobachtungen wussten sie mehr über die einzelnen Mieter, als so manch anderer.

Die Haustür öffnete sich und eine junge Mieterin, die erst vor wenigen Tagen in eine Zweizimmerwohnung gezogen war, trat mit einer Babytasche aus dem Haus. „Guck mal, das ist die Neue mit dem Negerbaby“, flüsterte Irmchen aufgeregt. Hildegard warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Du siehst soviel fern und hast immer noch nicht begriffen, dass das Wort Neger heute ein Schimpfwort ist.“ Irmchen machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Na und? Zu unserer Zeit hat man Neger gesagt und es auch nicht als Schimpfwort benutzt und dabei bleib ich. Das Baby ist ausgesprochen niedlich. Ein Mädchen mit schwarzen Kulleraugen und kleinen schwarzen Löckchen. Ganz bezaubernd.“

Hilgedard biss herzhaft in ihre Schwarzwälder Kirschtorte und murmelte: „Hast du schon einen Vater zu dem Kind gesehen?“ „Nö. Die junge Frau scheint alleine mit dem Kind eingezogen zu sein.“ „Ganz schön mutig, als Weiße alleine mit einem farbigen Kind.“

Die junge Mutter mit ihrem Kind hatte sich gerade aus der Sichtweite der älteren Damen begeben, als ein junger, etwa fünfundzwanzigjähriger Türke das Haus verließ. Nun funkelten Hildegards Augen. „Das ist vielleicht einer! Meinst du, der grüßt, wenn er mich sieht? Scheinbar ist das heute nicht mehr in. Wenn überhaupt, dann sagt er höchstens ‚Hallo’ oder sagt was auf Türkisch. Ich finde das unmöglich, du nicht, Irmchen?“ „Was erwartest du in der heutigen Zeit, wo jeder nur an sich denkt? Da kannst du froh sein, wenn jemand auch nur den Ansatz zum Gruß macht. “Während der junge Mann in seinen verdreckten und verbeulten Golf einstieg fiel Hildegard noch etwas ganz Lebenswichtiges ein. „Ich pass ja auf, ob jeder auch das Treppenhaus wischt, wenn er dran ist. Die Frau von dem jungen Mann hat letzte Woche nicht geputzt. Und das bei dem Dreckwetter.“ „Das ist unerhört! Ob sie es vergessen hat?“ „Weiß nicht. Ich hab schon mal daran gedacht, zu klingeln, um sie daran zu erinnern. Aber eigentlich geht mich das nichts an.“ „Wie gut, dass wir die junge Studentin haben, die für uns regelmäßig putzt.“ „Wir bezahlen sie ja auch gut, sonst könnte sie sich ihr Auto sicherlich nicht leisten.“

Eine ganze Weile tat sich nichts. Vor lauter Langeweile bestellte sich Irmchen noch ein Plunderstückchen mit Pudding. Gerade, als sie herzhaft hineinbeißen wollte, parkte ein Taxi vor der Haustür. „Da kommt jemand“, flüsterte Hildegard. Eine junge Frau im eleganten grauen Hosenanzug bezahlte den Taxifahrer, der ihr galant die Tür zum Aussteigen aufhielt und ihr dann einen Koffer und eine Reisetasche aus dem Kofferraum hob. „Schau mal an, da ist sie ja wieder.“ Aufgeregt starrten beide durch die Scheibe.

„Ob sie in Urlaub war?“ „Möglich. Aber ich glaube eher, sie hatte ihren Mann mal für einige Zeit verlassen.“ Hildegard starrte Irmchen entsetzt an. „Wie kommst du darauf?“ „Ich habe es dir doch erzählt, erinnerst du dich nicht?“ Irmchen blickte ihre Freundin besorgt an. Wurde sie langsam vergesslich? „Als ich vor vier Wochen von Doktor Meinhardt kam, flanierte ihr Mann in weiblicher Begleitung gerade an der Praxis vorbei, als ich herauskam. Und an den folgenden Tagen habe ich Frau… wie heißt sie gleich…Schulze-Stemmberg ständig mit ihrem Mann streiten gehört. Und plötzlich war Abend für Abend wieder Ruhe, genau seit vier Wochen.“ „Ich habe mich auch oft mit meinem Rudi gestritten. Und als er anfing schwer zu hören, wurde es auch mal lauter. Er hat sich lange geweigert, einen Hörapparat zu tragen.“ „Ja“, sinnierte Irmchen. „ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich meinen Fernseher gar nicht einschalten brauchte, weil ich jedes Wort von euch mithören konnte.“

Langsam wurde es Zeit, wieder nach Hause zu gehen. Aus Erfahrung wussten sie, dass jetzt nichts mehr zu erwarten war, denn die anderen Mitbewohner kamen später oder zu unregelmäßig, als dass sie weiteres Warten gelohnt hätte. Sie bezahlten und gingen nach Hause Aus dem Fahrstuhl trat die Frau des jungen Türken, lächelte die beiden Damen kurz an und machte sich auf den Weg nach draußen. „Halt“, rief Irmchen und hob zur Bekräftigung ihren Gehstock. „Bitte warten Sie.“ Die junge Frau drehte sich unsicher um und kam langsam zurück. „Verzeihen Sie, aber in diesem Haus wird zum Wochenende immer das Treppenhaus geputzt. Sie haben es in der letzten Woche sicher vergessen? Bitte, denken sie in Zukunft daran, ja? Wir wollen uns doch hier alle wohl fühlen.“

Die junge Frau errötete leicht. „Bitte entschuldigen. Aber ich hatte Samstag Kind bekommen und nicht konnte putzen. Musste schlafen viel, war Geburt sehr schwer.“ „Das ist schon in Ordnung. Alles Gute für Ihr Kind. Was ist es denn?“ „Wieder Junge, dabei ich wollte haben Mädchen. Muss gehen einkaufen.“ Hildegard und Irmchen blickten sich gegenseitig fassungslos an.

Wie konnte das passieren, dass sie eine Hochschwangere übersehen hatten?? Sie mussten unbedingt besser aufpassen.

© G. Bessen

 

Schreibeinladung für die Textwochen 21/22/2019 (2)

Die Wörter für die Textwochen 21/22 des Schreibjahres 2019 kommen vom Team dergl und ihrem Blog Die Tintenkleckse sehen aus wie Vögel.

Malkasten
gleitend
torpedieren

 

Aus der Schulzeit geplaudert

Ich hatte sicher schon mal erzählt, dass ich als Kind eher ein Junge als ein Mädchen war und mich Garagendächer und Bäume mehr zum Klettern reizten, als artig und still zu sein. Meine handwerklichen Fähig- und Fertigkeiten in Fächern wie Handarbeit und Zeichnen hielten sich in Grenzen und so hatte ich oft andere Dinge im Sinn, wenn unsere Zeichenlehrerin uns mit Pinseln, Malkästen und Aufträgen für die jeweilige Zeichenstunde torpedierte. Manchmal erntete ich für meine ‚anderen Dinge’ einen Tadel. War es doch spannender, Farben aus dem Malkasten in anderen Gesichtern als auf dem Papier zu verteilen.

Die Zeichenlehrerin war ein konservatives älteres ‚Fräulein’ mit wasserstoffblondem, dauergewelltem Haar und einer Nickelbrille vor den eisblauen, kalten Augen, die ihrem Gesicht ein typisches Lehrerinnenerscheinungsbild gab.

Wir hatten keine Angst vor ihr, doch wir fürchteten sie. Die Notengebung war für uns damals oft alles andere als einsichtig und jeder Widerspruch zwecklos. Und wir waren nicht die Schülergeneration, die Mama und Papa für jeden Furz in die Schule schickte. Im Gegenteil, wir hielten unsere Schandtaten möglichst geheim und hofften und beteten, dass es nichts gab, was eine elterliche Unterschrift, einen Anruf oder gar einen Brief nach sich zog.

Die Zeichenlehrerin war die enge Verbündete der Turnlehrerin, die ihrerseits auch Handarbeit in Form von Stricken und Nähen an der Nähmaschine unterrichtete, und war man bei einer durch, hatte man bei der anderen auch nichts mehr zu lachen. Anstelle von gleitenden Übungen wie beim Yoga wurden wir zu dem dumpfen Rhythmus von Tamburin mit Holzschlägel quer durch die Turnhalle gejagt, bis uns die Zunge aus dem Hals hing. Das schien der zuschauenden Turnlehrerin enormen Spaß zu machen.

Die Dritte im Bund war die Biolehrerin und die drei erinnerten mich später oft an die ‚Drei Damen vom Grill’, mit der Ausnahme, dass Grillwürstchen nicht zukunftbestimmend sind, Zeugnisnoten schon.

300 Wörter

 

 

Schreibeinladung für die Textwoche 02.03.19

Schreibeinladung für die Textwochen 02.03.19 | Wortspende von Ludwig Zeidler

Die neuen Wörter für die Textwochen 02/03 des Schreibjahres 2019 spendete der  Etüdenerfinder Ludwig Zeidler.

Die Begriffe lauten:

Abfallglück
Verfallsdatum
unschuldig

 Minimalismus

Seine wenigen Besitztümer hatten kein Verfallsdatum, im Gegenteil, trotz wachsender Müllberge im Land und zunehmender Umweltverschmutzung weltweit lebte er im sogenannten Abfallglück.

Er hatte alles verloren. Lange hatte er gebraucht, um diesen Schicksalsschlag überhaupt annähernd zu erfassen und zu begreifen. Von Verarbeitung wollte er gar nicht sprechen.

Sein kleines Mädchen hatte niemandem etwas getan. Sie war, wie alle kleinen Mädchen, unschuldig und hatte gerade intensiv begonnen, die große weite Welt wie alle Fünfjährigen zu erkunden, nahm alles Neue wie ein trockener Schwamm in sich auf und freute sich schon sehr auf die Schule.

Und dann kam er, eine Bestie, die man bis heute nicht gefunden hatte und die womöglich straffrei ausgehen würde. Er hatte sie mit Gewalt genommen und ihren toten Körper wie einen Müllsack entsorgt, sein kleines Mädchen, seinen ganzer Vaterstolz und letztlich auch sein Leben.
Der Abstieg ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sich seine Frau vor Kummer das Leben genommen hatte, versuchte er den Seinigen im Alkohol zu ertränken. Und nicht lange danach fand er sich ohne Arbeit, ohne Dach über dem Kopf und ohne Geld in der Tasche auf der Straße wieder, ein Schicksal, das er mit Tausenden in Deutschland teilte.
Doch wen interessierte das eigentlich?Er war zu feige gewesen, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen und als er andere Betroffene kennenlernte, lernte er auch diese Menschen zu respektieren und sich mit ihnen verbunden zu fühlen.

In einem leer stehenden Haus lebten sie mittlerweile zu zehnt mit dem Allernotwendigsten, zusammengesammelt aus Kleiderkammern, Sperrmüll und Almosen vom Sozialamt.
Was als Strömung ‚Minimalismus’ als neuer Trend durch die Gesellschaft zog, war für ihn seit Jahren bitterer Alltag und beinhaltete sogar ironischerweise einen Hauch von Freiheit.
Sein Hab und Gut war schnell gepackt. Einen Unterschlupf für die Nacht fand er überall.

294 Wörter

© G. Bessen

 

Jahresbilanz

Er war in den letzten Augusttagen im Sternzeichen der Jungfrau geboren und von Natur aus pingelig und überaus korrekt.

Jedes Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr setzte er sich mit einer Kanne  Tee mit Rum in sein Arbeitszimmer, spitzte einen roten Stift für seine berufliche Jahresbilanz und einen grünen für seine private Bilanz. Dann nahm er zwei Bögen kariertes Papier, schrieb BERUF  auf das eine Blatt, unterstrich das Wort akribisch genau mit einem Lineal und machte dasselbe mit dem zweiten Blatt, nur dass er da PRIVAT eintrug.

Er hatte das Gefühl, dass er in diesem Jahr lange an seiner Bilanz sitzen würde, denn in diesem Jahr hatten tiefgreifende Änderungen sein Leben  beeinflusst.

Als Versicherungsvertreter einer renommierten Versicherung hatte er seinem Konzern einen guten Dienst erwiesen. Er hatte sich die Füße wund gelaufen, sich Fransen an den Mund geredet und in der Tat unzählige Versicherungsverträge zum Abschluss gebracht. Die Menschen wollten in einer unsicheren Zeit gegen alles versichert sein. Und er hatte die rhetorische Gabe, jeden Zweifel auszuräumen, alle Bedenken zu zerstreuen und Fragen sicher zu beantworten. Und zum Abschluss eines zustande gekommenen Vertrages hatten sich seine Kunden immer herzlich bedankt, nachdem sie ihn während eines Beratungsgespräches  fürstlich bewirtet hatten. Seine Firma hatte ihn mit einer großzügigen Prämie zum Jahresende bedacht.

Er war stolz auf sich. Der Papierbogen mit der beruflichen Bilanz  verzeichnete am Ende ein dickes rotes Plus und er lehnte sich zufrieden zurück.

Sich seiner privaten Bilanz zu stellen, kostete ihn einige Überwindung. So sehr er auch seine Kunden überzeugen konnte, zu Hause war er eher der Schweigsame und Zugeknöpfte. Abends war er meist hundemüde, wenn er nach Hause kam. Er wusste, wie oft seine Familie vergebens mit dem Abendessen auf ihn gewartet hatte. Aber Kundengespräche ließen sich zeitlich nicht exakt terminieren. Er hatte zu wenig Zeit für seine Familie gehabt. Und so nahm er es hin, dass seine Frau mit den Kindern, die ihm immer mehr fremd wurden, auszog.

Um sich seiner Trauer nicht zu sehr stellen zu müssen, arbeitete er noch mehr. Die stillen Abende zu Hause konnte er nicht ertragen. Er gab sich die Schuld am Scheitern seiner Ehe und bezahlte einen großzügigen Unterhalt für seine Familie.

Anfangs kamen seine Kinder immer noch am Wochenende zu ihm, aber sie hatten keine Lust, ständig bei ihrem Vater zu sitzen. Sie wollten auch mit ihren Freunden zusammen sein und das ging oft nur am Wochenende. Es tat ihm weh, aber er verstand es.

Die gemeinsamen Freunde zogen sich nach und nach zurück. Er wusste, dass sie lieber mit seiner lebenslustigen und offenen Frau zusammen waren. Das nahm er hin. Schließlich wollte er auch nicht zwischen zwei Stühlen sitzen.

Nachdem er im Herbst nach einem Kreislaufkollaps ins Krankenhaus gekommen war, hatten die Ärzte nach eingehenden Untersuchungen ein Burn Out festgestellt und ihm eine Auszeit angeraten. Was sollte er alleine zu Hause? Er hatte sich zwei Wochen Urlaub gegönnt, hatte sich unter Palmen am Meer ausgeruht und war wieder arbeiten gegangen. Seine Blutfettwerte, der erhöhte Blutdruck und seine Fettleber hatten sich sicher im Urlaub auch erholt, glaubte er.

Heiligabend hatte er mit einem verwitweten Bekannten verbracht, der auch nichts mit sich anzufangen wusste und Silvester würde er sich mit einem guten Buch ins Bett legen.

Und dann kam das neue Jahr, mit neuen Herausforderungen und neuen Aufgaben.

Die Freude über seine positive berufliche Bilanz verblasste sehr schnell, als er vor dem Desaster seines Privatlebens stand. Er starrte auf das Blatt mit der grünen Schrift, bis die Tränen, die seine Wangen hinunterliefen, die Schrift verschleierten.

Er suchte die Nummer seines Hausarztes heraus und wollte gleich morgen früh telefonisch um einen Termin bitten. Er würde sich krankschreiben lassen, so lange bis er den Kampf um seine Ehe und Familie gewonnen hatte.

Das war sein einziger und felsenfester Vorsatz für das neue Jahr.

© G. Bessen

Eine Frage der Würde – eine Beobachtung

Eine Frage der Würde

Es war warm, nicht zu warm, doch sommerlich warm. Der Rasensprenger stand mitten auf der kurz geschorenen Rasenfläche und verspritzte seine kühlenden Tropfen, die kurz in der Sommersonne glitzerten, bevor sie im grünen Polster versanken. Ein paar Vögel kreisten mit wachen Augen über der Fläche, in der Hoffnung, ein Leckerchen zu finden. Der alte Mann saß in seinem Rollstuhl, den Blick geradeaus gerichtet, in ein Jenseits, das nur ihm zugänglich war. Auf dem faltigen Gesicht lag eine Traurigkeit, die in völligem Kontrast zu den zwei anderen Menschen an seinem Tisch stand. Zwei Männer in den Vierzigern saßen dem alten Mann gegenüber.

„Freust du dich, dass wir da sind?“

Der alte Mann blieb stumm. Nur ein leichtes Zucken in seinen Augen verriet, dass er sich angesprochen fühlte. Er antwortete nicht, nahm erneut seine Kuchengabel in die leicht zittrigen Hände und stochterte lustlos in seiner Torte herum.

„Wir sind gekommen, um mit dir Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen. Du hast heute Geburtstag.“

Gespannt warteten die Söhne über ein anerkennendes und dankbares Zeichen ihres kranken Vaters. Er blickte sie nur an – wortlos, ausdruckslos.

„Kannst du dich an den Namen deiner Schwester erinnern?“, fragte der Jüngere der beiden Brüder.

„Frag doch nicht, den weiß er sowieso nicht“ , setzte der ältere Bruder hinzu, ohne die Lautstärke seiner kräftigen Stimme zu verändern. Er übernahm nun unaufgefordert die Gesprächsführung.

„Das hat sie uns mitgegeben, deine Schwester Elli, das sollst du dir mal anhören.“

Er schob seinem Vater einen Laptop neben dem Kuchenteller  und ein Videoclip mit einer miauenden Katze erschien auf dem Bildschirm. Eine für meine  Ohren unangenehme Begleitmusik erklang vom Nebentisch.

„Nun schau doch mal hin! Das hat sie uns extra für dich mitgegeben.“

Der alte Mann blieb regungslos in seinem Rollstuhl sitzen. Er war immer noch in seiner Welt versunken.

„Das ist doch toll, findest du nicht?“ , versuchte der jüngere Sohn das Gespräch mit seinem Vater erneut in Gang zu setzen.

„Lass sein, es hat keinen Zweck.“

Sie gaben es auf, unterhielten sich fortan nur noch miteinander, während der alte Mann weiterhin vor dem Laptop saß, den Blick in die Ferne gewandt.

So wie man kleine Kinder vor dem Fernseher ‚parkt’, damit sie abgelenkt sind und Ruhe geben, kann es auch Erwachsenen gehen, die durch Krankheit mit einer Welt konfrontiert werden, in der sie längst nicht mehr leben oder leben wollen.

Ich weiß nicht, wie krank der alte Mann war und was er mitbekommen hat, vielleicht wollte er auch nichts mitbekommen und hoffte insgeheim, dass seine Söhne ihren Pflichtbesuch schnellstens beendeten und ihn wieder in sein vertrautes Pflegeheim brachten.

© G.Bessen

Einer von ihnen

Einer von ihnen

Seit Wochen war er das Tagesgespräch im Ort.

Er, den normalerweise  niemand beachtete, der für die anderen lediglich der Dorftrottel, der Vollpfosten, der Schulabbrecher und der Nichtsnutz war. Er, aus der Familie eines Vaters mit einem Alkoholproblem und Hartz 4 und einer Mutter, die eines Tages getürmt war und alles hinter sich gelassen hatte. Allen hatte er mit seinen knapp 16 Lenzen bewiesen,  dass er schlau war, dass ihm so leicht niemand auf die Schliche kommen konnte.

Seit in seinem Dorf die Wahlplakate für die anstehende Bundestagswahl aufgestellt worden waren, schlich er sich nachts davon, mit Spraydosen und Stiften bewaffnet und machte sich daran, die Gesichter der Politiker zu verändern.  Was interessierte ihn denn die Wahl? All diese Pappnasen, die versprachen und doch nichts hielten. Mit denen hatte er, Lars aus einem kleinen Ort in Meck-Pom, ohnehin nichts zu schaffen. Sollten die doch machen, was sie wollten.

Wenn es abends dunkel wurde und sein alter Herr seinen schweren Körper mit dem entsprechenden Alkoholpegel ins Bett geschleppt hatte, stiegen bei Lars Herz-Frequenz und Blutdruck an und er zog los.

Auch wenn er nichts besonders gut konnte, aber Gesichter verändern, sie abmalen und karikieren, das konnte er, wenn er auch sonst nicht viel in der Birne hatte – so glaubten es die anderen. Den größten Kitzel verschaffte es ihm, bisher nicht erwischt worden zu sein.

Am nächsten Tag sprachen die Leute im Dorf über nichts anderes und feixten sich mittlerweile eins, weil die Polizei so völlig im Dunkeln tappte. Lars ging mit offenen Ohren durchs Dorf, er hatte Zeit genug, seitdem er seine Lehrstelle hingeschmissen hatte und seinem Vater langsam auch egal wurde, wo sich sein Sohn tagsüber herumtrieb, solange nur genug Alkohol im Haus war. Lars war erleichtert, auf diese Weise auf dem Laufenden zu bleiben, ohne dass jemand wusste, dass er hinter der Aktion stand.

Die verunstalteten Plakate waren in den ersten Tagen erneuert worden, aber das war mittlerweile sinnlos geworden.

Es war später Abend geworden uns Lars machte sich auf den Weg. Als er sein Fahrrad hinter einer Baumgruppe abgestellt hatte und sich mit seinen Sprühdosen und Eddings auf das Plakat seiner heutigen Aufgabe  hin bewegte, stutzte er. Er starrte auf das Plakat der Kanzlerin neben einer Gaslaterne, die ihn mit einem Heiligenschein um ihren Kopf freundlich anlächelte.

Zögernd trat er näher. Da hatte ihm doch jemand ein Schnippchen geschlagen und ihm regelrecht ins Handwerk gepfuscht.

‚Nicht mit mir’ , dachte Lars zornig. ‚Das ist meine Baustelle.’

Er nahm den schwarzen Edding und setzte gerade an, den Heiligenschein zu schwärzen, als mehrere Lichtstrahler angingen. Ihm wurden die Arme auf den Rücken gelegt und als Lars hörte, wie sich die Handschellen um seine Handgelenke schlossen, wusste er, dass das Spiel aus war.

Aber am nächsten Tag würde das ganze Dorf über ihn reden und das allein war ihm ausreichende Genugtuung.

© G. Bessen