Schreibeinladung für die Textwochen 02*03*04*05**24 |

Neues Jahr, neue Etüden. Christiane hat den Startschuss gesetzt!

Die Wortspende für Januar 2024 bzw. für die Textwochen 02, 03, 04 und 05 des Jahres 2024 kommt von Ludwig Zeidler, dem Etüdenerfinder, der aber nicht mehr bloggt. Sie lautet:

Krisenmodus
faul
empfehlen

Ein neues Jahr, erst vier Wochen alt und die Krisen vom alten Jahr haben den Jahreswechsel nicht ausgelassen. Im Gegenteil, sie laufen sich weiter warm!

Klimakrise, Regierungskrise, Energiekrise, Migrationskrise, Notstände im Bereich der  medizinischen und pflegerischen Versorgung, Bildung und auf dem Wohnungsmarkt, Proteste der Bauern und Streiks bei der Bahn, Kriege in der Ukraine und in Israel und unzähligen fast vergessenen anderen Kriegsschauplätzen  – die Lust auf die täglichen Nachrichten scheint selbst in die Krise zu geraten, denn wer will und kann das alles noch hören?

In einem Jahr, das sich bei mir akut mit einer heftigen Atemwegsinfektion unbeliebt macht und mit der nächsten Null auf der Lebensleiter droht, möchte ich am liebsten im Energiesparmodus faul auf der Couch liegen und abwarten und Tee trinken.

Irgendwann müssen die Zeiten doch mal wieder besser werden, oder?

Aber das ist eine Milchmädchenrechnung, das ist bekannt. Auch die besten Ratschläge helfen nur dann, wenn man selbst aktiv wird. Das eigene Leben in die Hand nehmen, nur das zählt!

Aufstehen – das zeigen viele in unserem Land, nicht länger schweigen, sondern verbal und visuell Flagge zeigen gegen die, die unsere Werte unterwandern und Zwietracht säen, selbst aber weder ein annehmbares Programm vorweisen noch konstruktive Lösungen haben.

Ein Ruck geht durch unser Land und unsere Gesellschaft wird wieder bunt und farbenfroh.

So wird der Krisenmodus zumindest in einigen Bereichen durch ein zart ansteigendes Hoffnungsbarometer in den Hintergrund gedrängt. Und da ich mangels Gesundheit nicht mit auf die große Straße gehen und demonstrieren kann, empfehle ich als Zuspruch die Worte des jungen Hape Kerkeling:

https://www.youtube.com/watch?v=yQCoJz-B0lA

256 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 40*41*42*43*44**23 | Wortspende von Kopf und Gestalt (2)

Für Christianes  abc.etüden, Textwochen 40, 41, 42 43 und 44 des Jahres 2023: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von Gerhard und seinem Blog Kopf und Gestalt. Sie lautet: Lehrer, grob, hauchen.

Bevor sie die Beifahrertür öffnete, schaute sie sich vorsichtig in alle Richtungen um, ob sie auch niemand gesehen hatte. Sie stieg ein, Schmetterlinge kreisten in ihrem Bauch. Erwartungsvoll blickten sie ihn an, die Luft um sie herum hatte wieder dieses flirrende Knistern, wenn sie ihn sah.

„Endlich“, hauchte er, „ich konnte es kaum erwarten, dich zu sehen“, und nahm sie fest in die Arme.

Sein Blick irritierte sie. Irgendetwas war anders. Die Straßenlaterne am Parkplatz, der einsam und abgelegen lag, ließ ihr warmes Licht direkt in sein Gesicht fallen. Seine Augen flackerten, als hätte er etwas getrunken oder sogar eingenommen. Wieder umschlang er sie, dieses Mal fest, ja fast grob und zum ersten Mal wurde ihr bei ihrem Treffen unwohl.

„Du tust mir weh“, flüsterte sie und versuchte, ihn sanft von ihr wegzuschieben.

Doch er fasste noch fester zu, schob seine linke Hand unter ihren Pullover und begann, ihre Brüste zu massieren.

„Hör auf!“. Sie schrie es fast heraus.

„Hab dich nicht so, du dummes Ding, ich weiß doch, dass du es auch willst! Wieso triffst du dich sonst mit mir? Ich habe keine Lust, länger zu warten. Und nun entspann dich!“

Sie blickte auf den Türöffner der Beifahrertür, doch im selben Moment schnappte die Zentralverriegelung zu. Sie saß in der Falle!

„Du bist mein Lehrer!“, schrie sie. „Das kann dich deine Stelle und mich mein Abitur kosten.“

„Darüber mach dir mal keine Sorgen. In wenigen Tagen bist du 18 und bei deinen Abiturnoten habe ich ein kleines Wörtchen mitzureden. Wenn du es bestehen willst, dann zick nicht länger herum und zieh dich endlich aus“.

Sie erwachte wie aus einem Traum. Jegliches romantisches Gefühl zerplatzte wie eine Seifenblase. Nun ging es einzig und allein um ihr Überleben, als junge Frau, als Abiturientin und in ihrer Würde. Sie musste hier raus!

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 02*03*23

Ein neues Jahr, neue Etüden! Christiane lädt wieder ein!

Die Wörter für die Textwochen 02/03 des Jahres 2023 stiftete Ludwig Zeidler, dem ursprünglichen Erfinder der abc-Etüden. Sie lauten:

Fluchtsieger
füttern
wunderbar

 

Ausbruch

Welch eine Pleite! Käthe und die beiden anderen Kälbchen Luise und Lotte hatten es geschafft, auszubrechen.

Es ist doch klar, dass Kälber, sobald sie sicher auf den Beinen stehen können, Lust haben, ihre Umgebung zu erkunden. Ihren Müttern hatten sie das zwar zugeflüstert, deren Zustimmung aber nicht direkt erhalten, sondern bestenfalls besorgte Blicke geerntet.

So machten sie sich auf und zogen durch die Auen.

Was war das für ein wunderbares Gefühl von Freiheit, das ihnen um die rosigen Näschen wehte.

Käthe war eindeutig die Fluchtsiegerin. Als Erste von den dreien geboren, hatte sie die Verantwortung übernommen und sich den Rückweg zum Ökodorf genau eingeprägt. Dabei war Käthe nicht nur voller Nächstenliebe, sondern ein sowohl schlaues wie ehrgeiziges Kalb.

Als sich die drei Ausreißerinnen beim Sonnenaufgang müde und hungrig zurück schlichen, wurden sie prompt erwischt. Auch wenn sie noch so leise waren, wurden die Bewohnerinnen und Bewohner des Ökohofes wach. Spöttische und mitleidvolle Blicke mussten die drei aushalten, sich auch das eine oder andere Gezeter und Gemeckere anhören, aber stolz erhobenen Hauptes zogen sie an den Ställen und Gehegen vorbei.

Schelte gab es nicht, aber dafür Einzelhaft.

Käthe, Luise und Lotte ließen sich müde und entkräftet ins Stroh fallen und schliefen auch bald vor Entkräftung ein. Konsequenzen fürchteten sie nicht, so weit reichten ihren jungen Gedanken und ihr Erfahrungsschatz nicht. Sie hatten ihr Abenteuer gehabt und ein Stück von der Welt um sich herum erkundet.

Dass bloß niemand vergaß, sie zu füttern, war ihre größte Sorge!

245 Wörter

Fotos: G. Bessen im Ökodorf Brodowin

Schreibeinladung für die Textwochen 42.43.22

Die Wortspende zu Christianes Schreibeinladung für die Textwochen 42/43 des Jahres 2022 stammt von Monika mit ihrem Blog Allerlei Gedanken. Sie lautet:

Billard
aktuell
gestalten

Des Messers Schneide

Seine wenigen Worte hatten sie bis ins Mark getroffen. Messerscharf hatten sie ihr ins Herz geschnitten. Sie fühlte sich ausgeblutet, von einer Hülle der Leere umfangen.

Alle Vorwarnungen hatte sie beiseitegeschoben, jetzt hallten sie durch den Raum wie kleine Kobolde, die sich in ihrem Leid suhlten und ihr Grimassen schnitten. ‚Lass die Finger von ihm, das geht nie gut.’ – ‚Er ist ein Windhund.’ – ‚Er ist auf der Jagd nach allem, was Röcke trägt.’ – ‚Was willst du mit einem, der so viel jünger ist und bei dem ersten Problem auf uns davon ist?’

Sie hatte ihre Lektion gelernt. Und doch blieb ein Rest dessen, was ihre einsame Seele gestreichelt hatte. Sie konnte zurückblicken auf Stunden, in denen sie beachtet und sich angenommen fühlte, auf Stunden voll zärtlicher Intimität und schmerzlicher Leidenschaft, auf Stunden, in denen sie ganz sie selbst war. Jedes Mal, wenn er zu ihr kam, brachte er ihr eine einzelne rote Rose mit und sie blühte in und mit ihr auf.

Jede einzelne Rose hatte sie getrocknet und in eine bauchige Vase gestellt. Dieser Anblick gestaltete sich mit einer Traurigkeit, die ihr die Augen öffnete. Sie sah sich in ihnen wie in einem Spiegel: ausgetrocknet und verwelkt.

Selbst heute hatte er es sich nicht nehmen lassen, eine Rose mitzubringen, allerdings kam er mit einer gelben Rose. Sie lag immer noch auf dem Esstisch, wie deplatziert auf der aktuellen Fernsehzeitung und das satte Gelb grinste sie förmlich an. Voller Zorn nahm sie eine Billardkugel und schlug auf die zarte Blüte ein, bis sie platt und verletzt vor ihr lag.

Sie ließ ihren cremefarbenen Bademantel fallen, stieg in das heiße Schaumbad und legte sich die beiden Gegenstände zurecht, die sie noch brauchte: ein Glas mit rubinrotem Wein und eine Rasierklinge.

Sie war fest entschlossen, das letzte Restchen Leben in ihr auszuhauchen.

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 23.24.21

Christiane lädt zu einer neuen Etüdenrunde ein. Die Wörter für die Textwochen 23/24 des Schreibjahres 2021 stiftete Ellen mit ihrem Blog nellindreams. Sie lauten:

Picknickdecke
verwegen
recherchieren

Der Frühling war in diesem Jahr, wie so vieles andere nahezu ausgefallen und von heute auf morgen hatte der Sommer seinen Einzug gehalten. Eben noch im tiefsten Lockdown öffneten sich plötzlich Türen, die lange verschlossen waren.

‚Das Leben ist zu kurz für irgendwann … ‚war ihr in einem neulich gelesenen Zitat im Gedächtnis geblieben. Nein, keine Zeit verlieren und das Leben beim Schopf packen!

Sie fand sich mutig, ja fast ein wenig verwegen, als sie heute früh beim Erwachen in die strahlende Sonne blinzelte, dem aufgeregten Ruf der Vögel lauschte und nach ihrem Smartphone griff.

Marty war sofort am Telefon, als hätte er bereits auf ihren Anruf gewartet.

Mareike verlor keine Zeit und kam gleich zur Sache, überrollte Marty mit ihrem ausgeklügelten Plan, einen Picknickkorb zu packen, das Fahrrad zu überholen und startklar zu machen und schärfte ihm ein, eine große bunte Picknickdecke mitzubringen.

Entweder war er noch nicht ganz wach oder stand, wie so oft, ein wenig mit dem Fuß auf der Leitung, denn er fragte etwas ratlos, ob sie denn nicht erst recherchieren sollten, was die neuen Regeln alles erlauben würden, bevor sie sich an einem Sonntagvormittag ins Getümmel stürzten.

„Wir dürfen heute nach unseren eigenen Regeln leben und einen Sommertag in Freiheit erleben“, antwortete Mareike in sich hinein schmunzelnd. „Ach, und denke bitte an ein Badetuch, ich habe eine Bucht am See entdeckt, die so einsam ist, dass sie geradezu paradiesisch anmutet. Bis später!“

Bevor Marty irgendetwas erwidern konnte, hatte sie aufgelegt und sich in die Vorbereitungen gestürzt. Es wäre doch gelacht, wenn sie ihm seine Schüchternheit heute nicht ein wenig therapieren könnte …

267 Wörter

 

Schreibeinladung für die Textwochen 18.19.21

Christiane hat wieder eingeladen. Die Wörter für die Textwochen 18/19 des Schreibjahres 2021 stiftete Nina mit ihrem Blog Das Bodenlosz-Archiv. Sie lauten:

Korsett
rechtsdrehend
dampfen

 Sie hätte es besser wissen müssen und sich nicht dazu hinreißen lassen dürfen. Aber der regelmäßige nachmittägliche Ausflug war einfach zu verlockend. Nun war es zu spät.

Als sie losgegangen war, schien die Sonne und der Himmel war voll von bauschigen Schönwetterwolken. Der Wolkenbruch, der sich vor wenigen Minuten über sie ergossen hatte, ließ den von den Sonnenstrahlen erwärmten Waldboden dampfen und die prasselnden Regentropfen hinterließen auf dem frischen Maigrün eine sanfte Tränenspur.

Der Sturm war noch nicht vorüber, denn die Baumwipfel der Kiefern sangen ihr eigenes Lied und die dünnen Baumstämme schwankten je nach Laune des Windes fast unmerklich, mal rechtsdrehend, dann wieder linksdrehend. Der Wettergott gab den Ton an und die Natur ergab sich ihm in völliger Demut.

Der Wald hinterließ schon lange einen erbärmlichen Eindruck. Überall lagen umgeknickte Baumstämme, wie Mikadostäbchen einfach umgepustet, herausgerissen aus dem zu trockenen märkischen Sandboden. Nur die zarten Triebe der Blätter an den Sträuchern und den jungen Birken gaben Hoffnung auf das neue Leben, das sich nicht unterkriegen ließ.

Ein dumpfes Grollen und ein zuckender Blitz ließen das kleine Wesen in ihren Armen erneut wild zappeln. Die Angst kroch wild durch seinen jungen Körper. Aber er durfte sich auf keinen Fall befreien und losreißen, wer weiß, wohin die Angst und sein Jagdinstinkt vor diesen fremden Gewalten ihn trieben. Auch wenn es ihr selbst wehtat, sie musste ihn festhalten.

Gefangen wie in einem Korsett, so musste sich das verletzte Wesen fühlen und irgendwann gab es seinen Widerstand auf. Ein erneuter Schauer ging hernieder, ein Gemisch aus dicken Regentropfen und dicken Hagelkörnern, die sich wie weiße Blütenblätter auf das helle Hundefell legten und infolge der Körperwärme sofort schmolzen.

Bald hatten sie es geschafft, und am Ende des breiten Waldweges schaute die Sonne hinter ein paar dunklen Wolken hervor und zauberte einen breiten leuchtenden Regenbogen.

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 08.09.20 | Wortspende von BerlinAutor

Schreibeinladung für die Textwochen 08.09.20 | Wortspende von BerlinAutor

Die Wörter für die Textwochen 08/09 des Schreibjahres 2020 kommen von René, der mit seinen meist auf Berlin bezogenen Etüden jetzt auf seinen neuen Zweitblog „BerlinAutor“ umgezogen ist. Seine Begriffe lauten:

Schabernack
breit
erheben

 

Weiberfastnacht

Er hielt seinen, in akribischer Feinheit, durchdachten Plan für genial und hatte Wochen damit verbracht, sich sein Kostüm zusammenzustellen. Nun schaute er zufrieden auf sein Werk und war sicher, dass ihn niemand erkennen würde.

Als er Wind davon bekommen hatte, dass seine Kollegin Nikki ihren 50. Geburtstag am Tag der Weiberfastnacht nachfeiern würde, sprang sein Kopfkino an.

Breit grinsend und bestens ausgerüstet für seinen Schabernack, zog er sich an und schminkte sich sorgfältig. Das Taxi kam und brachte ihn in einen Teil des Prenzlauer Berges, den er absolut nicht kannte. Seine auf nicht legalem Weg erworbene Eintrittskarte wurde anstandslos am Eingang eingerissen, und so verschaffte er sich Zugang zu einer bunten und fröhlichen Welt, die nach einem feuchtfröhlichen Abendspaß nahezu schrie.

Schrille Gestalten, verkleidet von Kopf bis Fuß belagerten gierig das kunstvoll angerichtete Buffet oder schmiegten die Körper auf der Tanzfläche eng aneinander.

Es war nicht auszumachen, wer Weiblein oder Männlein war. Er hatte aus sicherer Quelle erfahren, dass dieses Fest eine reine Frauenparty sein sollte. Das war der Reiz, der ihn antrieb, sich hier hinein zu mogeln.  Und er genoss. Die Stimmung war so gut, dass er nicht ausschloss, mit zunehmend später Stunde könnte die eine oder andere Hülle sogar fallen. Er tanzte ausgelassen, und die Lautstärke der Musik kam ihm zu Hilfe, keine große Konversation machen zu müssen, die ihn als Mann vielleicht verraten hätte.

Doch dann verschwamm alles vor seinen Augen, die Musik wurde leiser, bis er nur noch ein Rauschen vernahm. Er versuchte, sich zu erheben, torkelte und stürzte. Ein Schwall kaltes Wasser brachte ihn zur Besinnung. Er erstarrte. Er lag auf einem breiten Bett, splitternackt, an Händen und Füßen mit Handschellen gefesselt. Über ihn beugten sich bunte Masken und ein schallendes Gelächter umfing ihn.

„Böser Junge muss büßen“, erkannte er Nikkis Stimme verführerisch flüsternd an seinem Ohr.

300 Wörter

 

 

Schreibeinladung für die Textwochen 06.07.20 | Wortspende von Make a choice Alice

Schreibeinladung für die Textwochen 06.07.20 | Wortspende von Make a choice Alice

Die Wörter für die Textwochen 06/07 des Schreibjahres 2020 kommen von Alice mit ihrem Blog Make a Choice Alice. Ihre neuen Begriffe lauten:

Grippe
gebleicht
knuddeln

 

Inhaltshinweise: Dieser Text kann Bilder erzeugen, die für sensible Menschen belastend sein können (hier:Suizidgedanken)! Die entstehenden Bilder können Flashbacks auslösen und bisher blockierte Erinnerungen freisetzen. Der Autor übernimmt keine Haftung für entstehende psychische oder seelische Schäden. Lesen Sie den Text bitte nicht, wenn Sie entsprechend sensibel oder sensitiv sind.

 Merle

„Erzählt mir etwas über Merle.“

Die junge Frau blickte erwartungsvoll in die Gesichter der vor ihr sitzenden Mädchen und Jungen, doch sie senkten ihre Köpfe und schwiegen. Nach einer Weile der Stille hob ein Mädchen mit einem blonden Lockenkopf ihr verweintes Gesicht und stammelte: „ Merle wurde von manchen Jungen höherer Klassen  verspottet. Sie sagten oft auf dem Schulhof …“. Die Stimme des Mädchens stockte. Sie hob erneut an:

„Du Xanthippe, du Gerippe, hüte dich vor einer Grippe!“

„Warum haben die Jungen denn so etwas gesagt?“

„Merle wurde immer dünner und immer blasser. Selbst im Sommer sah ihr Gesicht wie ausgebleicht aus.“

Ein anderes Mädchen meldete sich:

„Ich glaube, es hatte mit Merles Familie zu tun. Niemand durfte sie zuhause besuchen. Sie ließ niemanden an sich heran. Manchmal hätte ich sie am liebsten in den Arm genommen, um sie einfach mal zu knuddeln. Aber wenn man ihr zu nah kam, wich sie zurück, wie ein aufgescheuchtes Reh.“

„Merles Eltern haben nicht viel Geld. Ich habe ihr immer heimlich etwas von meinem Pausenbrot zugesteckt, denn sie hatte selten etwas zu essen mit.“

Die Befragung der Mitschüler und der unterrichtenden Fachlehrer dauerte den Vormittag über an und ganz langsam dämmerte es der jungen Polizistin, dass hier über ein Mädchen gesprochen wurde, dessen kurzes Leben sich immer klarer herauskristallisierte.

Merle war ein Mädchen gewesen, das zuhause mit Pflichten für die jüngeren vier Geschwister völlig überfordert gewesen war und weder zum Lernen noch für sich selbst ein wenig Zeit und Raum einfordern konnte. Arbeitslosigkeit und Krankheit der Eltern führte die Familie immer mehr an den finanziellen Abgrund und Merle auf das Dach des fünfgeschossigen Schulgebäudes.

Mit einem Sprung lange vor der ersten Unterrichtsstunde beendete sie ihr kurzes und so unglückliches Leben. Der Hausmeister fand sie, bevor der Ansturm der Schülerschaft den Schulhof erreichte.

300 Wörter

 

Schreibeinladung für die Textwochen 04.05.20 | Wortspende von OnlyBatsCanHang (2)

Die Wörter für die Textwochen 04/05 des Schreibjahres 2020 kommen zum ersten Mal von Donka mit ihrem Blog OnlyBatsCanHang. Die neuen Begriffe lauten:

Papiertiger
belanglos
plätschern

Johannes stand neben sich. Sein momentanes Leben plätscherte irgendwie an ihm vorbei.

Die Lehrer hatten es aufgegeben, ihn daran zu erinnern, dass neben seiner körperlichen Anwesenheit auch eine geistige nötig war, wenn er vorhatte, im kommenden Schuljahr das Abitur zu bestehen. Gewiss, er war hochbegabt und fleißig – so kannten ihn alle Lehrer – aber nun lief Johannes regelrecht neben der Spur. Da seine Anwesenheit in der Schule regelmäßig und freiwillig war, er hatte seine Pflichtschuljahre absolviert, war bisher niemand auf die Idee gekommen, seine Eltern zu informieren. Was sollten die Lehrer ihnen auch sagen?

„Verzeihen Sie, es geht uns eigentlich nichts an, aber Ihr Sohn sitzt jede Stunde im Klassenraum, ist aber weder ansprechbar, noch trägt er zum aktiven Unterrichtsgeschehen bei.  Wenn er nicht aus dem Fenster starrt, bastelt er kleine Papierschiffchen und lässt sie über den Schülerschreibtisch fahren. Alles um ihn herum scheint für ihn belanglos zu sein.“

Johannes war nicht wirklich ansprechbar. Auf konkrete Fragen seitens der Lehrer kam bestenfalls ein „Mir geht es gut“. Die Mitschüler hatten es bereits aufgegeben, ihn anzusprechen. Er war nur noch der „Papiertiger“, körperlich anwesend, aber geistig in ganz anderen Sphären.

Und Johannes selbst ?

Er hatte beschlossen, einfach mal abzutauchen und seine erste große Liebe mit allen Sinnen in Tagträumen wieder und wieder zu erleben. Inhalte von Rahmenlehrplänen waren derzeit ebenso hinderlich wie das aktive Einbringen im Unterricht. Mit seiner rosaroten Brille auf der Nase und seinem Rückzug auf Wolke sieben ließ es sich momentan gut leben.

Fehlstunden bekam er keine und für die anstehenden Leistungsnachweise würde er schon rechtzeitig ein bisschen lernen, wenn Nele ihm dazu ein wenig Zeit ließ …

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 04.05.20 | Wortspende von OnlyBatsCanHang(1)

Ein neues Jahr und neue Etüden. Christiane lädt wieder herzlich ein! Die Aufgabe ist, 3 Begriffe in maximal 300 Wörtern unterzubringen

Die Wörter für die Textwochen 04/05 des Schreibjahres 2020 kommen zum ersten Mal von Donka mit ihrem Blog OnlyBatsCanHang. Die neuen Begriffe lauten:

Papiertiger
belanglos
plätschern

 

Der Papiertiger

Es war klar, dass er eine harte Zeit hinter sich gehabt haben musste, als er langsam und sehr dünn am helllichten Tag durch den Garten schlich. Einen Igel am Tage zu finden, ist nicht gerade belanglos, sondern ein Warnzeichen. Er ließ sich mühelos einfangen. Ergeben ließ er sich von allen Seiten bestaunen, betasten und untersuchen, aber äußere Verletzungen hatte er nicht. Tochter Lena sprudelte sofort über vor Ideen, wo der kleine und offenbar kranke Igel in ihrem Zimmer wohnen könne.

Wir hatten alle Mühe, den fünfjährigen Zwillingen zu erklären, dass Igel keine Haustiere sind, sondern in freier Natur leben wollen und nachtaktiv sind. Allerdings wollten wir alles versuchen, den armen kleinen Kerl wieder aufzupeppen. Darin waren wir uns als Familie sofort einig.

Sein provisorisch errichtetes  ‚Krankenbett’, eine Kiste, ausgelegt mit einem Stapel altem Zeitungspapier, brachte ihm den Kosenamen Papiertiger ein.
Handwarmes Katzenfutter mit Haferflocken vermischt schien ihm zu schmecken und nach ein paar Tagen schienen neue Lebensgeister die Trägheit und Erschöpfung zu verdrängen.

Eines Morgens war unser Papiertiger einfach verschwunden. Leon und Lena konnten es kaum fassen und brachen in Tränen aus. Sie begaben sich sofort auf die Suche, doch es war sinnlos. Der Papiertiger war offenbar in sein Revier zurückgekehrt.

Wir dachten oft an ihn und sprachen auch von ihm. Als ich eines Abends ein ganz leises Plätschern hörte und vor der Tür nachsehen ging, traute ich meinen Augen kaum. Zwei Igel,  einer davon war eindeutig unser genesener Papiertiger, hatten sich erst über das Katzenfutter hergemacht und bis auf den letzten Krümel alles vertilgt und nun spülten sie die Reste mit frischem Wasser herunter. Was wohl der Kater dazu sagen würde, wenn er nach Hause käme?

Ich war ganz sicher, dass wir im nahenden Winter ein Igelpärchen im Garten beherbergen würden und wer weiß, was daraus noch entstehen würde?

300 Wörter