Schreibeinladung für die Textwochen 02.03.19 | Wortspende von Ludwig Zeidler
Die neuen Wörter für die Textwochen 02/03 des Schreibjahres 2019 spendete der Etüdenerfinder Ludwig Zeidler.
Die Begriffe lauten:
Abfallglück
Verfallsdatum
unschuldig
Minimalismus
Seine wenigen Besitztümer hatten kein Verfallsdatum, im Gegenteil, trotz wachsender Müllberge im Land und zunehmender Umweltverschmutzung weltweit lebte er im sogenannten Abfallglück.
Er hatte alles verloren. Lange hatte er gebraucht, um diesen Schicksalsschlag überhaupt annähernd zu erfassen und zu begreifen. Von Verarbeitung wollte er gar nicht sprechen.
Sein kleines Mädchen hatte niemandem etwas getan. Sie war, wie alle kleinen Mädchen, unschuldig und hatte gerade intensiv begonnen, die große weite Welt wie alle Fünfjährigen zu erkunden, nahm alles Neue wie ein trockener Schwamm in sich auf und freute sich schon sehr auf die Schule.
Und dann kam er, eine Bestie, die man bis heute nicht gefunden hatte und die womöglich straffrei ausgehen würde. Er hatte sie mit Gewalt genommen und ihren toten Körper wie einen Müllsack entsorgt, sein kleines Mädchen, seinen ganzer Vaterstolz und letztlich auch sein Leben.
Der Abstieg ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sich seine Frau vor Kummer das Leben genommen hatte, versuchte er den Seinigen im Alkohol zu ertränken. Und nicht lange danach fand er sich ohne Arbeit, ohne Dach über dem Kopf und ohne Geld in der Tasche auf der Straße wieder, ein Schicksal, das er mit Tausenden in Deutschland teilte.
Doch wen interessierte das eigentlich?Er war zu feige gewesen, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen und als er andere Betroffene kennenlernte, lernte er auch diese Menschen zu respektieren und sich mit ihnen verbunden zu fühlen.
In einem leer stehenden Haus lebten sie mittlerweile zu zehnt mit dem Allernotwendigsten, zusammengesammelt aus Kleiderkammern, Sperrmüll und Almosen vom Sozialamt.
Was als Strömung ‚Minimalismus’ als neuer Trend durch die Gesellschaft zog, war für ihn seit Jahren bitterer Alltag und beinhaltete sogar ironischerweise einen Hauch von Freiheit.
Sein Hab und Gut war schnell gepackt. Einen Unterschlupf für die Nacht fand er überall.
294 Wörter
© G. Bessen
Es küssten uns weniger die Musen, als die nicht mehr zu übersehende Gegenwart der Obdachlosen/Nichtsesshaften in unseren Städten. Allen Versuchen zum Trotz, sie aus den Innenstädten zu vertreiben. Ich habe großen Respekt vor dieser Art leben zu müssen oder leben zu wollen. Liebe Grüße, Bernd
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Ich auch, lieber Bernd, ich habe lange genug während meines Studiums mit ihnen gearbeitet und habe über Schicksale erfahren, die kann man kaum in Worte fassen.
Liebe Grüße auch zu dir!
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Ich habe mich schon die ganze Zeit darauf gefreut, was aus Ludwigs „Abfallglück“ alles entsteht. Sehr faszinierend.
Bittere Geschichte, liebe Anna-Lena.
Liebe Grüße
Christiane
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Bitter ja, aber ganz dicht am Leben, liebe Christiane – leider!
Liebe Grüße zur Nacht,
Anna-Lena
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Ohne jeden Zweifel …
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So etwas zerbricht einen Menschen. Wir haben das mit der kleinen Johanna Bohnacker hier in der Wetterau erlebt. Der Vater ist auch total daran zerbrochen und gestorben und die Mutter hat über 18 Jahre lang an nichts anderes denken können, als Gewissheit über den Tathergang zu erlangen und den Täter verurteilt zu sehen.
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Ganz schlimm sind solche Schicksale. Wenn ein Kind vor seinen Eltern sterben muss, finde ich das schon sehr schlimm, aber wenn es sinnlose Gewalt ist und Eltern verlieren auf diese Weise ein Kind, so kann ich mir kaum vorstellen, dass jemand das je verkraftet.
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Ein Alptraum, der leider kein Traum ist, eine bittere Realität! Wir wissen nicht, wenn wir Menschen begegnen, die auf der Straße leben, was für ein Schicksal sie dorthin gebracht hat, ich glaube, dass die allerwenigsten dies aus freier Wahl tun.
liebe Grüße
Ulli
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Ohne Frage, liebe Ulli. Zollen wir ihnen den erforderlichen Respekt und schenken wir ihnen immer wieder ein Lächeln, wenn es sich ergibt.
Liebe Grüße zu dir,
Anna-Lena
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Gute Geschichte, liebe Anna-Lena!
Es hätte auch ein Auto sein können, welches das kleine Mädchen überfuhr. So habe ich es bei einer tollen jungen Familie erlebt.
Die glückliche Ehe brach auseinander, die Frau zog aus dem gemütlichen Heim. Da moderne große Dentallabor zerbrach und sie hielt sich als Verkäuferin über Wasser. Sie, die so schön war, alterte ganz schnell, war kaum noch zu erkennen und von beiden habe ich dann nie wieder etwas gesehen oder gehört…
Ganz herzlich, Bruni
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Vielleicht machen wir uns bei solchen Schicksalen mal wieder bewusst, dass es uns doch gut geht, wenn wir so etwas nicht erleben müssen.
Herzliche Gute-Nacht-Grüße zu dir!
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Eine tieftraurige und sehr glaubhaft erzählte Geschichte. Ach, das Schicksal kann so grausam zuschlagen…
Lieben Gruss ins Schneetreiben,
Brigitte
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Ja, Brigitte, so mancher hat ein schweres Päckchen zu tragen. Da kann man nur hoffen, dass es genug helfende Hände und offene Ohren gibt.
Einen lieben Gruß aus dem Nieselregen,
Anna-Lena
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