Schreibeinladung für die Textwochen 04.05.20 | Wortspende von OnlyBatsCanHang (2)

Die Wörter für die Textwochen 04/05 des Schreibjahres 2020 kommen zum ersten Mal von Donka mit ihrem Blog OnlyBatsCanHang. Die neuen Begriffe lauten:

Papiertiger
belanglos
plätschern

Johannes stand neben sich. Sein momentanes Leben plätscherte irgendwie an ihm vorbei.

Die Lehrer hatten es aufgegeben, ihn daran zu erinnern, dass neben seiner körperlichen Anwesenheit auch eine geistige nötig war, wenn er vorhatte, im kommenden Schuljahr das Abitur zu bestehen. Gewiss, er war hochbegabt und fleißig – so kannten ihn alle Lehrer – aber nun lief Johannes regelrecht neben der Spur. Da seine Anwesenheit in der Schule regelmäßig und freiwillig war, er hatte seine Pflichtschuljahre absolviert, war bisher niemand auf die Idee gekommen, seine Eltern zu informieren. Was sollten die Lehrer ihnen auch sagen?

„Verzeihen Sie, es geht uns eigentlich nichts an, aber Ihr Sohn sitzt jede Stunde im Klassenraum, ist aber weder ansprechbar, noch trägt er zum aktiven Unterrichtsgeschehen bei.  Wenn er nicht aus dem Fenster starrt, bastelt er kleine Papierschiffchen und lässt sie über den Schülerschreibtisch fahren. Alles um ihn herum scheint für ihn belanglos zu sein.“

Johannes war nicht wirklich ansprechbar. Auf konkrete Fragen seitens der Lehrer kam bestenfalls ein „Mir geht es gut“. Die Mitschüler hatten es bereits aufgegeben, ihn anzusprechen. Er war nur noch der „Papiertiger“, körperlich anwesend, aber geistig in ganz anderen Sphären.

Und Johannes selbst ?

Er hatte beschlossen, einfach mal abzutauchen und seine erste große Liebe mit allen Sinnen in Tagträumen wieder und wieder zu erleben. Inhalte von Rahmenlehrplänen waren derzeit ebenso hinderlich wie das aktive Einbringen im Unterricht. Mit seiner rosaroten Brille auf der Nase und seinem Rückzug auf Wolke sieben ließ es sich momentan gut leben.

Fehlstunden bekam er keine und für die anstehenden Leistungsnachweise würde er schon rechtzeitig ein bisschen lernen, wenn Nele ihm dazu ein wenig Zeit ließ …

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 28.29.19 (2)

Christiane lädt wieder zur Etüde ein:

Die Wörter für die Textwochen 28/29 des Schreibjahres 2019 kommen zum ersten Mal von Gerhard und seinem Blog Kopf und Gestalt. Die neuen Begriffe lauten:

Füße
harmonisch
wünschen

Er war nie gewalttätig geworden, dass ihm die Hand ausgerutscht wäre oder er ihr die Faust ins Gesicht geschlagen hätte. Danach hatte sie sich das manchmal regelrecht gewünscht. Wunden körperlicher Art heilten und vernarbten irgendwann, die Wunden seelischer Art aber blieben wie glühende Feuermale und ihr Schmerz ließ nicht nach. Bis heute war er unverändert intensiv.

Sie hatte sich für ihn beinahe aufgegeben, sie hätte alles für ihn getan, doch er hatte ihre Liebe mit Füßen getreten, sie betrogen und belogen und sie hatte nichts gemerkt. Sie wollte doch immer nur ein harmonisches Ehe- und Familienleben, wie es Tausende anderer Menschen auch erstrebten.

Und dann hatte ihr jemand brutal und schonungslos die Augen geöffnet, ihr die rosarote Brille der Verliebtheit heruntergerissen und sie stand da, nackt, hilflos und verwundet wie ein junger Vogel, den man aus dem Nest gestoßen hatte.

Sie hatte ihn angezeigt, doch das Strafmaß war demütigend und lächerlich.

Und heute war der Tag, an dem er aus der Haft entlassen wurde. Sie hatte keine Ahnung, was er nun vorhatte, wohin er gehen würde. Sie wusste nur eins: Nie wieder würde er ihr zu nahe kommen, nie wieder würde er ihr wehtun.

Sie rückte ihre Sonnenbrille zurecht, schob das Kopftuch über ihre hellblonden Haare, startete das Auto und fixierte angespannt das Gefängnistor, das sich eben geöffnet und ihn wieder ausgespuckt hatte. Sein einst jungenhaftes Lächeln, dem sie sofort verfallen war, hatte sich in ein hämisches Grinsen verwandelt und auch sonst erinnerte seine Figur nur noch wenig an den einstigen gut gebauten Charmeur.

Er hatte sie sofort gesehen und ihr Auto erkannt. In ihrer Therapie hatte sie einen anderen Weg der Bewältigung aufgezeigt bekommen, aber das war ihr nun egal. Sie tat das, was ihr Bauchgefühl ihr nun riet. Sie fixierte ihn, nahm Kurs auf und gab Gas … .

300 Wörter

I – In letzter Sekunde

Heute war der Tag, an dem sich ihr Leben ändern würde. Nur, in welche Richtung?

Gedankenverloren saß sie auf der Terrasse, drehte die zarte gelbe Blüte zwischen ihren feuchten Fingern und begann, wie automatisch, die leuchtenden Blätter abzuzupfen, so wie sie es als Kind mit kleinen weißen Gänseblümchen gemacht hatte.

‚er liebt mich – er liebt mich nicht’

‚er kommt – er kommt nicht’

‚ich mache Schluss – ich mache nicht Schluss’

Vor ihrem inneren Auge liefen die letzten zwei Jahre wie im Film ab. Der blendend aussehende Mann, der plötzlich und unerwartet in ihr Leben gestolpert war und sie nicht mehr aus seinem Bann ließ.

Sie liebten und sie hassten sich, suchten verzweifelt die Nähe des anderen und flüchteten in die Distanz. Zwei lange Jahre, in denen sie die zweite Geige in seinem Orchester gespielt hatte, geduldig und ohne Forderungen, zufrieden mit dem, was sie von ihm bekam.

Wie oft hatte er ihr beteuert, mit seiner Frau zu reden, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war. Irgendwann hatte sie den Spieß herumgedreht und ihm ein Ultimatum gesetzt. Heute Abend lief es ab.

Er hatte es ihr versprochen, an diesem Abend zu ihr zu kommen. In den letzten Tagen hatte sie mit viel Liebe ihre schmucke Wohnung so umgestaltet, dass sie Platz für zwei bot. Alles war bereit, er brauchte nur noch mit seinen Sachen vor ihrer Tür stehen und bei ihr einziehen.

Wie sehr hatte sie sich nach diesem Augenblick gesehnt, ihn ganz für sich zu haben.

Dunkle Schatten mischten sich plötzlich in die leuchtenden Bilder der Vergangenheit.

Wie oft hatte sie auf ihn gewartet, wenn er kommen wollte und ohne ein Lebenszeichen wegblieb. Sie könnte die Entschuldigungen am nächsten Tag nicht mehr hören – er kam nicht weg, das Kind war krank, sie hatten einen Termin, den er vergessen hatte.

Die starrte auf das letzte Blütenblatt. Ihr Wortreigen stockte – er liebt mich nicht – er kommt nicht – ich mache Schluss.

Das war die nackte Wahrheit. Selbst, wenn er käme, welche Garantie hatte sie, dass er nicht zu seiner Frau zurückkehrte? Ihre Waffen waren nicht zu unterschätzen. Eine lange Ehe, ein schönes Haus, ein gemeinsames Kind und ein gesellschaftliches Ansehen, in dessen Schatten er sich sonnen konnte.

Zum Teufel mit diesem verheirateten, unentschlossenen, unzuverlässigen Beziehungsangsthasen, der sich das nimmt, was er will, so wie es ihm bequem ist.

Soll er sich seine kalten Beziehungsfüße weiterhin bei seiner Ehefrau wärmen lassen oder Frostbeulen bekommen.

Mit tränennassen Augen warf sie die blattlose Blüte in den Müll und begann, ihre Wohnung umzuräumen. Es sollte ihre Puppenstube bleiben, nur für sie.

© G.B. 2009