Es dauerte keine drei Tage, da hatte Ernst seine Meinung über Seniorenheime mit Pflegemöglichkeit gründlich revidiert. Die freundliche Aufnahme, das helle, dem See zugewandte Zimmer und sein Zimmernachbar Ludwig hatten ihn mit seinem momentanen Schicksal versöhnt.
Ludwig und er verbrachten viele Stunden auf der Bank am stillen Seeufer und plauderten gern miteinander über Gott und die Welt. Sie hatten das Gefühl, sich schon ein Leben lang zu kennen. Und zum ersten Mal wurde Ernst so deutlich wie nie bewusst, dass der restliche Lebensweg doch nicht mehr unendlich war, sondern, wie bei Ludwig, eine scharfe Kurve einschlagen konnte und man dann alle Hände voll zu tun hatte, nicht selbst völlig aus der Kurve getragen zu werden.
„Alt werden ist nichts für Feiglinge.“ Da war etwas dran, sinnierte Ernst. Niemand wollte alt werden, schon gar nicht altersschwach und krank. Aber irgendwann war es vorbei mit dem jugendlichen Hüpfen und wer nicht lernte, das Leben rechtzeitig in jeder Lebenslage als ein Geschenk und eine immer neue Herausforderung zu sehen, die es zu bewältigen galt, der machte sich etwas vor.
Ernst steckte sein Lesezeichen ins Buch und erhob sich langsam. Es wurde windig auf der Bank am See und Ludwig erwartete ihn in seinem Zimmer zu einer Partie Schach. Mit dem Rollator brauchte Ernst schon eine gewisse Zeit zurück zum Haus und seine gute Erziehung ließ ihn trotz seiner Bewegungseinschränkung pünktlich sein.
Sobald er und Christel wieder in ihrem Zuhause waren, würde er sich mit ihr gemeinsam Gedanken über einen Umzug in diese Villa am See machen. Ein Doppelzimmer für Ehepaare hatte er sich bereits zeigen lassen.
Warum sollten sie sich mit ihrem Haus weiterhin belasten, das zunehmend mehr Arbeit machte, anstatt mit Menschen ihres Alters noch eine gute Zeit in netter Gesellschaft zu erleben und in Würde den letzten Weg gemeinsam zu gehen?
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