Für die abc.etüden, Woche 20.2018: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Worte stammen in dieser Woche von Christa Hartwig und lauten: Kusshand, formvollendet, anpeilen.
Spätlese
Er betrachtete sich selbstverliebt im Spiegel und sein Mund verzog sich zu einem leicht spöttischen Grinsen, das nur er kannte und beherrschte. Alles an ihm war formvollendet, wie immer seit dreißig Jahren, wenn er sich für eine Buchlesung in ‚Schale schmiss’.
Nachmittags war er beim Friseur gewesen, die silbergrauen Haare mit den vorwitzigen Wellen lagen wie ein sanfter Heiligenschein um seinen Oberkopf und seine Brauen waren gestutzt. Unliebsame Nasen- und Ohrenhaare waren verschwunden und die Nassrasur verlieh seinem in die Jahre gekommenen Gesicht mit der immer gebräunten Haut und den altersbedingten Falten ein attraktives Aussehen.
Nur das Zittern seiner Hände verriet ihm, dass er den Abend nur überstehen würde, wenn er seinen inneren Pegel noch in die richtige Balance bringen würde. Wenn er erst einmal den Anfang hinter sich hätte, würde ihm der weitere Abend keine Probleme mehr bereiten.
Vor jeder Lesung spielte das Lampenfieber ein groteskes Spiel mit ihm, wobei die Frage, ob überhaupt interessierte Leser kämen und wenn ja, ob sie seinen Roman auch mögen und kaufen würden, nicht mehr so relevant waren.
Er war ein alternder Krimiautor, leer in seinem Gehirn, angewidert von sich selbst und nur noch interessiert daran, den folgenden Tag zu überleben und nicht in seiner Alkoholsucht und der daraus resultierenden Einsamkeit zu ertrinken.
Noch klappte sein Jagdverhalten an solchen Abenden ganz gut, denn wenn er das Objekt seiner Begierde im Publikum entdeckt hatte, musste er es intensiv anpeilen und in seinen Bann ziehen. Als gebürtiger Wiener setzte er auf seinen natürlichen Charme, denn mit einer Kusshand und unzähligen Schmeicheleien hatte er bisher noch jede Frau in seine Wohnung und in sein Bett bekommen.
© G. Bessen
Ha, ha, das erinnert mich an den letzthin gesehenen Film.
Alternde Schriftsteller müssen die Fantasie wohl gehörig anheizen. 😉
Lieben Gruss,
Brigitte
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Besonders dann, wenn der alternde Schriftsteller brilliant spielt und nachhaltig gedanklich beschäftigt 🙂 .
Liebe Grüße
Anna-Lena
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Scheißspiel, das. Besonders mit Alkohol.
Aber gut geschrieben, da gibt es gaaaar nix dran auszusetzen.
Liebe Grüße
Christiane
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Lieben Dank und ein schönes Pfingstwochenende für dich und das Fellmonsterchen … 🙂
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Richte ich ihm aus. Danke, dir/euch und dem Wuff auch! 😀
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🙂
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Kann es sein, dass männliche Schriftsteller sich nicht zu Unrecht einbilden, dass Schreiben sexy macht, während Schriftstellerinnen eher die Erfahrung machen, den Männern ein bisschen unheimlich zu sein? – Auf jeden Fall so gut geschrieben, dass ich grübele, wer das sein könnte. Aber echt! Frauen sind unheimlich!!!
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Wissen wir nicht, dass Männer sich gern etwas ‚ein’bilden? Die kluge Frau lässt ihnen diese ‚Bildung‘ und denkt sich das Weitere … 😆 !
Guckst du:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ard-film-spaetwerk-mit-henry-huebchen-als-schriftsteller-15591662.html
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Ja, so kann eine menschliche männliche Spätlese durchaus sein, liebe Anna-Lena 🙂 ,
und vor den weiblichen Fans wird die süffige Spätlese ganz bestimmt in vollem Glanz brillieren.
Gelingt ihm das nicht mehr, gelingt ihm auch kein weiteres Buch. Das weiß er und er gibt alles…
Ein sehr stimmiger Text!
Liebe Gutenachtgrpüße von mir und schöne Pfingsten für Dich und Deine Lieben
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Meinen Eindruck, liebe Bruni, hast du mit Metaphern sehr schön auf den Punkt gebracht 😆 .
Hab du auch ein schönes Pfingstfest mit viel Sonne und Freude,
Anna-Lena
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Aha, na ich hoffe doch, dass der angeborene Charme auch bei Wienerinnen zum Tragen kommt 🙂 😉
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Ob wir das je erfahren werden? 😆
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Hmmpf 🙂
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Wow, klasse geschrieben!!!
LG Susanne
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