abc-etüde Textwoche 5.18

Schreibeinladung für die Textwoche 05.18 | Wortspende von Elke H. Speidel:

Krüglein
schlüsselblumengelb
graupeln

Junge Liebe

Johannes konnte sich kaum noch auf seinem Fahrrad halten, denn der Sturm drückte ihn derart zur rechten Seite, dass er sich schon samt Rad im Meer davon treiben sah.

Das war mehr als nur launisches Aprilwetter, das war ein Unwetter, bei dem man am besten zuhause bleiben sollte, wie es allen geraten worden war, wenn nicht die Liebste an einem geheimen Ort warten würde und sich die Schmetterlinge im Bauch nach nichts anderem sehnten, als die Angebetete  in die Arme zu schließen.

Der Wind hatte aufgefrischt und aus dem kräftigen Regen war ein Graupeln geworden, mit kleinen, runden Eisklümpchen, die beim Auftreffen auf der Haut wie winzige Geschosse einschlagen wollten  und entsprechend schmerzten.

Johannes  stieg ab, schob sein Rad den sandigen Weg vom Strand zum einsamen Feldweg hoch, an dessen Ende die kleine Holzhütte stand, das Refugium von Theas Onkel, das ihrer jungen und aufkeimenden Liebe nicht zum ersten Mal als heimlicher Treffpunkt diente.

Onkel Max verwahrte den Schlüssel in einem kleinen Krüglein aus Keramik, in dem ein Strauß Trockenblumen mit seinen farbenfrohen Blüten  unschuldig in die Welt blickten.

Der Raps stand in voller Blüte und seine schlüsselblumengelbe Farbe, die bei frühlingshaftem Wetter so intensiv leuchtete, dass es in den Augen schmerzte, weinte auch bittere Tränen und legte sich gehorsam in eine Schieflage, die der Sturm jeder Pflanze unerbittlich abverlangte.

So sehr er sich auch anstrengte, gelang es Johannes nicht, sich zügig fortzubewegen und da er von Thea noch nichts sah, weder sie, noch ihr Fahrrad, wurde er unruhig, beruhigte sich aber gleich mit dem Gedanken, dass sie ähnliche Schwierigkeiten haben würde, ihren Treffpunkt zu erreichen.

Ein lautes Knacken, neben all den tosenden Geräuschen des Sturmes, erschreckte Johannes bis ins Mark, und als er aufschaute, sah er zu seinem großen Entsetzen, wie der Sturm, der fast schon ein Orkan geworden war, die Wände der kleinen Holzhütte aufriss,  lautstark zerteilte und die einzelnen Bretter wie kleine Fußbälle vor sich herkickte.

Johannes erschrak, denn er kam weder vor, noch konnte er ohne Weiteres zurück und weit und breit stand kein anderes Haus, zu dem er sich durchkämpfen konnte.

Er war dem tobenden Unwetter hilflos ausgeliefert, und als er die wütenden Wellen in all ihrer Kraft auf den Strand zurollen sah, glaubte er nicht mehr daran, hier noch lebend davon zu kommen.

© G. Bessen

13 Kommentare

  1. Ich sehe ihn vor mir, deinen jungen Mann, wie er sich gegen den Sturm stemmt, um die Hütte zu erreichen, junge Liebe, zu viel Hormone … anders kann man das doch nicht beschreiben, oder? Wer ist denn so bescheuert (Entschuldigung) heutzutage, bei einem derartigen Wetter nicht mal schnell zum Handy zu greifen und das Treffen abzusagen, spätestens in dem Moment, wo ihn der Sturm fast vom Rad haut?
    Ich hoffe bloß, dass sie klüger war als er und gar nicht erst losgefahren ist, und dass er heil heimkommt …
    Liebe Grüße
    Christiane

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  2. Tja, das Krüglein…

    Ach, oh weh, vermutlich zerbrach es nun im Sturm und wenn Thea, die Kluge, nicht losgefahren ist, bin ich beruhigt, sonst hätte ich Angst, daß ihr Fahrrad an der Rückwand lehnte und sie schwer verletzt in den Trümmern liegt …

    Ein spannernder Text, liebe Anna-Lena!

    Liebe Grüße aus einem wieder mal unfreundlichen Tag
    von Bruni an Dich

    Gefällt 1 Person

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