Es ist Urlaubszeit. Viele machen sich nicht mehr die Mühe, Karten zu schreiben, aber so manche Reisende pflegen diesen schönen Brauch. Hören wir, was eine Postkarte dazu sagt:
Endlich hatte sich jemand meiner erbarmt. Tagelang hatte ich in diesem heißen Metallständer, der prallen Sonne unmittelbar ausgesetzt, vor mich hin geschwitzt und schon befürchtet, meine satten, leuchtenden Farben würden sich unter dem Einfluss des Lichtes auflösen. Eine junge Frau kaufte mich endlich und steckte mich in ihre dunkle, kühle Handtasche. Ein Päuschen zum Erholen! Selig schmiegte ich mich zwischen Lippenstift, Haarspange und Tempotaschentücher und schloss für ein Weilchen die Augen. Ich war gespannt, wo meine Reise hingehen würde. Das ist das größte Erlebnis im Leben einer Postkarte, gekauft, geschrieben und möglichst um den halben Erdball geschickt zu werden. Etwas unsanft wurde ich aus meiner gemütlichen Position befreit und landete mitten auf einem harten Holztisch, mitten in der sengenden Mittagssonne.
„Was soll ich denn schreiben?“, frage die junge Frau ratlos ihren Begleiter, der gelangweilt sein Bierglas zwischen seinen Händen hin und herdrehte. „Was weiß ich? Das Übliche eben, Wetter schön, Hotel sauber und Essen genießbar.“ Ich fasste es nicht! Ich, die von intensiven Farben leuchtende Postkarte mit den schönsten Ecken der landschaftlich so reizvollen Insel war nur für einen lapidaren Bla-Bla-Gruß ausgewählt worden? Möglicherweise waren die Empfänger Verwandte, die genau so oberflächlich reagierten. „Guck mal, eine Karte aus Spanien. Na, viel haben sie ja nicht geschrieben.“ Ich sah mich schon, unbeachtet meiner reizvollen Vorderseite, mit einem verächtlichen Blick auf die Bla-Bla-Grüße in den nächsten Papierkorb wandern. Die junge Frau nahm seufzend einen Kugelschreiber und schrieb mit wenigen Worten das, was ihr Begleiter ihr kurzerhand mit wenigen Worten über den Tisch geschleudert hatte. Sie schien eine kleine, zierliche Handschrift zu haben, denn ich spürte, dass noch soviel weiße Fläche zum Beschreiben frei geblieben war.
„Hallo, seid doch nicht so einfallslos!“, rief ich verzweifelt und meine vier Ecken begannen unbemerkt zu zittern. So sehr ich mich auch anstrengte, einen stummen Impuls an die junge Frau zu geben, es war umsonst. Sie bespeichelte eine Briefmarke, klebte sie in meine obere rechte Ecke und haute mit der Faust noch einmal nach, damit die Briefmarke auch kleben blieb. Grobian! Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass das Porto nicht ausreichend war, denn die Briefmarke fühlte sich so leicht an. Verzweifelt sah ich meine Weltreise im Wasser versinken, denn mit einem nicht ausreichenden Porto durfte ich bestimmt nicht um den halben Erdball reisen. Ich verschwand wieder in der Handtasche, diesmal nicht ganz so komfortabel, denn ich fühlte die Stacheln einer Haarbürste und roch süße, klebrige Bonbons. Ich war so deprimiert, dass mein erwartungsvolles Reisefieber in eine heftige Postkartendepression umschlug und ich mich meinem Schicksal fügte. Meine Reise dauerte wider Erwarten lange, aber das interessierte mich schon gar nicht mehr. Unendlich müde schloss ich die Augen und ließ mich treiben.
Die letzte Station war ein kuscheliges Plätzchen zwischen Zeitungen. So sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte nichts entziffern, diese Sprache war mir völlig fremd. Plötzlich riss ich verwundert die Augen auf. Eine warme Hand berührte mich, und drehte mich mehrfach mit ihren Händen um. „Schau mal, Tobias, hier ist Post für dich“, vernahm ich die freundliche Stimme einer älteren Frau.
Zwei kleine Hände nahmen mich behutsam in den Griff und ich lauschte dem begeisterten Staunen eines kleinen Jungen. „Ist das schön! Schau mal Oma, so ein großer See!“ „Das ist ein Meer, Tobias, viel größer als die Ostsee. Sicher wohnen da ganz außergewöhnliche Fische und Meerespflanzen.“
Der kleine Tobias hielt mich ehrfürchtig in den Händen. Ich konnte sein zartes Gesicht mit den hellblauen Augen und dem blonden Haar erkennen und musste mich mit aller Kraft bemühen, die Tränen der Rührung zurück zu halten. „Steht da auch etwas drauf?“ Tobias hatte mich umgedreht und sah seine Oma Hilfe suchend an. „Aber ja, Liebchen. Mutti und Papa schreiben, dass sie dich sehr vermissen und große Sehnsucht nach dir haben. Sie freuen sich sehr auf dich.“ „Das ist schön. Ich freue mich auch, wenn sie wieder da sind, obwohl ich auch sehr gern bei dir bin.“
Ich landete nicht im Papierkorb. Tobias stellte mich behutsam vor die Lampe auf seinen Nachttisch und ich bewachte ihn voller Dankbarkeit – jede Nacht.
© Gaby Bessen
Eine ganz wundervolle, etwas melancholische Geschichte ist das, liebe Anna-Lena. Ich selbst pflege diesen Brauch nach wie vor sehr gerne und freue mich natürlich wie der kleine Tobias, wenn ich von anderen ebenso damit beschenkt werde, was tatsächlich immer weniger der Fall ist.
Dir liebe Wochenendgrüße
von Constanze
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Danke, liebe Constanze 🙂 .
Auch ich schreibe wieder mehr Karten als vor einigen Jahren noch, als mich das digitale Fieber doch auch gepackt hatte.
Karten sind etwas Beständiges, Greifbares und doch sehr Persönliches.
Habt einen schönen Sonntag.
Lieben Gruß
Anna-Lena
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Oh, ist das rührend! Und einfach wunderbar, wie die Grossmama mit dem Enkel umgeht und ihm die Zeilen in Liebe übersetzt.
Danke für diese Happyend-Geschichte, liebe Anna-Lena.
Schönen Sonntagsgruss,
Brigitte
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Ich bin sicher, liebe Brigitte, du als Großmama würdest ähnlich handeln, wenn du dazu herausgefordert würdest.
Liebe Grüße zum Sonntagabend,
Anna-Lena
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Köstliche Geschichte! Ich habe heute noch Ansichtskarten von früher in einer Schachtel und es ist schön hie und da in diesen Erinnerungen zu kramen und in Händen zu halten.
Schönen Sonntag noch! Herzlichen Gruß Andrea
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Hin uns wieder sortiere ich mal aus, aber wichtige Karten und Briefe habe ich, hebe ich auf und erfreue mich von Zeit zu Zeit daran.
Hab noch einen schönen Restsonntag und einen guten Wochenstart,
Anna-Lena
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Eine wunderbare Sicht der Dinge und ich schreibe nur Postkarten, denn im Urlaub bleibt die Elektronik zu Hause und alle Adressen stehen in einem kleinen schwarzen Buch 😉
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So halte ich das auch, lieber Arno.
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Ist das eine schöne Postkartengeschichte!!! Ich habe sie regelrecht verschlungen. Vor genau zwei Jahren schrieb ich meiner Mutter und unserem Sohn jeweils eine Postkarte von Mallorca. Leider sind die Karten nie angekommen.
LG
Astrid
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Das ist aber wirklich schade, liebe Astrid. Vielleicht hat sie jemand anderes bekommen und sich trotzdem darüber gefreut.
Liebe Grüße
Anna-Lena
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Oh, eine wunderbare, warme Geschichte. Vor allem jüngere Kinder freuen sich sehr über Postkarten, stelle ich immer wieder fest 🙂
Herzlich. Priska
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Auch wenn ich kein jüngeres Kind mehr bin, freue ich mich auch über jede Postkarte, liebe Priska.
Liebe Grüße zu dir,
Anna-Lena
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Eben, für Postkarten ist man nie zu alt 😉
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Du verstehst mich, danke 😆 !
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Eine superfeine Idee, eine Geschichte über eine Postkarte zu schreiben und von ihren Gedanken zu hören, liebe AnnaLena.
Viele Karten hab ich geschrieben und viele Briefe. Heute schreiben wir Mails und kurze Nachrichten…
(Weihnachtspost ist eine sehr andere Geschichte …)
Manche Postkarten benutze ich als Lesezeichen und andere hängen mit Magneten befestigt, am Kühlschrank, weil sie so viele Erinnerungen tragen.
Einen feinen versöhnlichen Schluß hat Deine Geschichte
Liebe Abendgrüße an Dich von Bruni
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Doch, ich schreibe noch Karten, nicht regelmäßig, aber wenn ich Zeit und Lust habe und ganz bestimmte Menschen erfreuen möchte.
So ein Kühlschrank bietet sich als Kartenständer förmlich an, auch bei uns … 😆 .
Liebe Grüße auch zu dir (ich komme gerade von dir, da hätten wir uns ja fast getroffen…) !
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Von Dir hängt an meinem Kühlschrank auch eine Karte 🙂
Da muß ich aber schnell mal nachsehen, liebe Anna-Lena
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Schau an, liebe Bruni. Von wo habe ich sie geschickt?
Liebe Grüße zu dir 🙂 .
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von Waren an der Müritz 🙂
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Wie schön, da wollten wir morgen für ein paar Tage hinfahren, aber leider ist etwas dazwischen gekommen. Wir verschieben aber nur… 🙂 .
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Verschieben bedeutet ja nur längere Vorfreude 🙂
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Ja, genau, liebe Bruni 😆 !
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Diese herrliche Geschichte! Wenn ich unterwegs bin, dann schreibe ich nach wie vor Postkarten. Und ich freu mich auch, wenn ich eine bekomme. Es gibt bei uns auch einen extra Ständer, nur für die Postkarten.
Was alles so flöten geht – im Zeitalter von den schnellen Medien. Schade!
Liebe Grüße, Brigitte
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So empfinde ich auch, liebe Brigitte. Halten wir diese schönen Traditionen weiter in Ehren.
Herzlich
Anna-Lena
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