abc-etüde Textwoche 17/18

Christiane hat eingeladen,

Ludwig illustriert

und ich durfte die Wörter spenden:

Milchmädchenrechnung
dingfest
untertreiben

Erkenntnisse

„Was für ein arroganter Vogel, ich frage mich, was der hier will?!“

Sabine schaute dem gestrigen Neuankömmling, der den Mitpatienten am Mittagstisch noch einen schönen Tag gewünscht, sein Tablett zum Schmutzgeschirr gestellt hatte und nun zügig Richtung Ausgang eilte, verwundert hinterher.

„Lass ihm Zeit, niemand kommt als Patient ohne tieferen Grund einfach so in eine psychosomatische Klinik spaziert, da kann er noch so vehement behaupten, er sei gesund und sein Aufenthalt hier sei nur eine Präventionsmaßnahme“, beantwortete Katja Sabines Frage und löffelte weiter vergnügt ihren Nachtisch.

Robert strich sich durch die kurz geschnittenen gegelten Haare, bevor er seinen Motorradhelm aufsetzte und Gas gab. „Bloß weg hier“, dachte er bei sich, bevor ihn die Psychologin vom Vormittag noch erwischte und sein Innenleben erneut zum Brodeln brachte, was ihr  in einem einstündigen Einführungsgespräch  schon verdammt gut gelungen war. Natürlich hatte er seine inneren Baustellen nach zwei Jahren Bundeswehreinsatz in Afghanistan und fühlte sich oft bis an die Haarwurzeln erschöpft und ausgelaugt, nach all dem, was er dort gesehen und erlebt hatte. Es war sein Beruf, den er seit über zehn Jahren gern und mit Hingabe ausführte, doch er tendierte dazu, die Dinge, die er am Tage und bis in die Nacht  hin  in seinem Inneren spürte,  die sich unaufhaltsam auf  die Oberfläche zu bewegten, maßlos  zu untertreiben.

Im Verlauf der nächsten Tage, in denen er sich nach und nach einlebte, spürte er in seinem tiefen Inneren, dass es nötig war, einigen Erlebnissen in seinem Leben auf den Grund zu gehen und deren Bedeutung für ihn dingfest zu machen. Wie lächerlich erschien ihm plötzlich sein Machogehabe, als gestandener Mann, jung und gut aussehend, durchtrainiert und mit beiden Beinen im Leben, in einer Überzahl von deprimierten, essgestörten und ausgebrannten Frauen, die ebenso ihre Frau im Leben standen, jemand zu sein, der keine Hilfe brauchte.

Seine Milchmädchenrechnung war wieder mal nicht aufgegangen, und als er sich dazu durchgerungen hatte, den Vorschlag zur  Verlängerung der Reha-Maßnahme zu akzeptieren, verwunderte ihn, wie einfach es plötzlich wurde, sich fallen  zu lassen.

© G. Bessen

 

 

 

 

 

14 Kommentare

  1. Guuuuuuuut, liebe Anna-Lena!
    eine tolle Geschichte, von der ich mir gut vorstellen kann, daß sie sich ähnlich in der Realität zugetragen hat.

    Erst mal wird ja alles so tief vergraben, da gehört viel Buddeln dazu, sich selbst einzugestehen, daß es raus sollte, irgendwie, und wenn erst der Anfang gemacht ist, dann kommt Puzzleteilchen zu Puzzleteilchen und die Seele wird freier.
    Sie bekommt wieder Luft und Lust sich mit dem Leben zu befassen. Und was ist das für ein tolles Gefühl

    Liebe Grüße von Bruni an Dich

    Gefällt 1 Person

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