Freitag, der 13.

Markus wurde durch ein lautes Klopfen an seiner Zimmertür unsanft aus seinen tiefsten Träumen gerissen. Verschlafen blinzelte er auf den Wecker. Erst halb sieben und er war noch so müde.

„Markus, das Frühstück ist fertig. Kommst du?“

„Ja, ich komme gleich.“

Jetzt oder nie. Er wusste, wenn er sich noch einmal für fünf Minuten umdrehte, würde er sofort wieder einschlafen. Er quälte sich aus dem Bett, öffnete das Fenster und sog die kalte Februarluft tief ein.

Den Schlafanzug tauschte er schnell gegen eine Jogginghose und ein T-Shirt, kippte sich im Bad eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht und fuhr sich mit der Bürste einmal durch das blonde, gewellte Haar .

Bereits auf der Treppe nach unten  schlug ihm der Duft von frischem Kaffee und  Rührei mit Speck entgegen. Fröhlich betrat er die warme Küche und setzte sich mit einem „Guten Morgen, Oma. Das duftet ja köstlich“, auf seinen Platz.

„Guten Morgen, mein Junge“, sagte seine Oma und goss ihm den dampfenden Kaffee in die Tasse.

Das leckere Frühstück entschädigte ihn für das frühe Aufstehen.

„Markus, ich würde den Termin am liebsten absagen.“

Markus blickte erstaunt von seinem Rührei auf.

„Wieso das denn? Du hast so lange auf diesen Termin warten müssen. Da wirst du ihn doch nicht kurzfristig absagen. Oder geht es dir nicht gut?“

„Doch schon. Aber heute ist Freitag, der dreizehnte und da gehe ich eigentlich nie aus dem Haus.“

Das hatte Markus völlig vergessen und Oma offensichtlich auch.

An einem Freitag, dem dreizehnten, war sein Opa bei einer Routineoperation nicht mehr aus der Narkose erwacht. Obwohl das schon fünf Jahre her war, hatte Oma jeden Freitag,  den dreizehnten, als Unglückstag deklariert. Sie hatten bereits heftige Diskussionen über Aberglauben geführt, ohne auf einen Nenner zu kommen. Oma stand auf dem Standpunkt, dass es solche Weisheiten nicht ohne entsprechende Erfahrungen der Menschen gäbe.

„Oma, dir steht eine aufwändige Augenuntersuchung bevor und keine Operation“, versuchte Markus seiner Oma gut zuzureden. „Dabei passiert nichts und daran stirbst du auch nicht.“

„Ob ich sterbe oder nicht, ist mir egal. Ich habe mein Leben gelebt. Aber ich will das Schicksal nicht heraufbeschwören. Ich habe in den letzten Nächten schlecht geschlafen, das ist kein gutes Omen.“

„Oma, du hast schlecht geschlafen, weil Vollmond ist. Da schläfst du immer schlecht.“

Markus legte seine Hand auf den Arm seiner Oma und schaute sie aufmunternd an.

Er liebte seine Oma, aber manchmal war sie etwas anstrengend.

Als er vor zwei Jahren einen Studienplatz in Göttingen bekam, betrachtete er es als Geschenk des Himmels, bei seiner Oma in Göttingen mietfrei einziehen zu können.

Er hatte ein großes Zimmer im oberen Stockwerk und ein eigenes Bad und konnte tun und lassen, was er wollte. Sie bekochte ihn, wusch und bügelte seine Wäsche und war froh, dass wieder Leben im Haus war. Im Gegenzug erledigte Markus den wöchentlichen Einkauf und fuhr mit ihr überall dahin, wo sie zu Fuß nicht mehr gut hinkam.

Obwohl sie von Natur aus ein fröhlicher Mensch war, hielt sie an alten Weisheiten unerschütterlich fest.

Zwischen Weihnachten und Neujahr durfte keine Wäsche gewaschen werden oder auf der Leine hängen, sonst stirbt jemand. So sagt man jedenfalls. Oma hielt sich eisern daran.

Zu jeder Mondphase hatte sie eine Erklärung, die das eine oder andere Zipperlein erklärte.

So schlief sie im Gegensatz zu Markus bei Vollmond sehr schlecht oder schrie im Schlaf.

Einmal war Markus von diesem Schreien wach geworden, aus dem Bett gesprungen und mit einem schweren Kerzenleuchter war er an Omas Bett geeilt, in der festen Überzeugung, einen maskierten Einbrecher dort vorzufinden.

Bei Neumond trank sie mindestens zwei Kannen Beruhigungstee am Tag, da sie der Ansicht war, an Herzrhythmusstörungen zu leiden. War der Neumond vorbei, war auch Omas Herzschlag wieder normal. Schon bevor der Wetterbericht eine Wetteränderung bekannt gab, hatte Oma ihn bereits anhand ihrer Knochenschmerzen prognostiziert.

Vieles in Omas Leben wurde genau nach dem Mondkalender geplant und ausgeführt. Davon war sie Zeit ihres Lebens überzeugt gewesen und ließ sich von nichts und niemandem davon abbringen.

Markus hielt von alldem nichts, akzeptierte aber diese kleinen Macken seiner Oma, da er sie in abgeschwächter Form auch bei seiner Mutter erlebt hatte. Als er klein war und seine neuen Turnschuhe mitten auf den Küchentisch stellte, schrie seine Mutter regelrecht vor Schreck auf und befahl ihm, sie sofort runterzustellen, das bringe Unglück.

Oma war sichtlich unentschlossen, denn sie wusste, dass Markus sich diesen Vormittag extra frei genommen hatte, obwohl er mitten in einem Praktikum steckte.

Wie hatte ihr das auch passieren können, erst viel später zu entdecken, dass ausgerechnet dieser dreizehnte Februar ein Freitag war?

Schweigend räumten sie zusammen den Küchentisch ab. Als Markus zufällig einen Blick aus dem Küchenfenster warf, lief eine Katze durch den Vorgarten. Im selben Moment krachte etwas auf den Küchenboden.

Erschrocken blickte er sich um. Oma stand mit starrem Blick wie festgewurzelt hinter ihm und sah ebenfalls aus dem Fenster.

„Hast du das gesehen? Eine schwarze Katze von links. Das bringt Unglück.“

Vor lauter Schreck waren ihr die zwei Frühstücksteller aus den Händen gerutscht  und auf den Fliesen des Küchenbodens zersprungen.

Er bückte sich und sammelte die Scherben zusammen, als das Telefon klingelte. Oma schlurfte in den Flur, nahm den Hörer ab und meldete sich.

„Ja, …ja, ich verstehe,…oh Gott,… nein, das macht gar nichts…Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen…“

Oma kam zurück in die Küche, den Besen schon in der Hand.

„Markus, mach dich fertig und gehe zu deinem Praktikum, ich mach das schon. Und wenn du heute nach Hause kommst, habe ich dein Lieblingsessen fertig.“

„Wer hat da angerufen?“, wollte Markus nun wissen.

„Das war die Augenarztpraxis. Sie haben den Termin abgesagt, da der Herr Doktor einen Autounfall hatte. Es ist ihm nichts passiert, aber er lässt sich im Krankenhaus sicherheitshalber untersuchen. Wer weiß, wozu das gut ist.“, fügte sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzu.

Markus hatte noch ausreichend Zeit, um pünktlich zum Praktikum zu kommen. Er hatte einen Fußweg von wenigen Minuten vor sich und war dankbar, dass Oma ihn nicht überzeugen musste, heute, an diesem Freitag, den dreizehnten, das Auto in der Garage zu lassen. Denn dann wäre er sicherlich zu spät gekommen.

c/G.B. 2009

25 Kommentare

  1. Manche Dinge erledigen sich von ganz allein. Ich selbst bin nicht abergläubisch, finde das aber bei anderen recht amüsant. Wenn man nur fest genug daran glaubt, dass Freitag, der 13. ein Unglückstag ist, dann können so allerdei Sachen passieren …
    Für mich ist es eher ein Glückstag. Deine Geschichte hat mir sehr gefallen!

    Liebe Grüße
    Regina

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  2. So ein bisschen abergläubisch sind wir doch alle irgendwie… wenn mir am Freitag, den 13. etwas Dummes passiert, denke ich auch: Ach ja, Freitag , der Dreizehnte…
    Und eine schwarze Katze, die von rechts nach links vor mir die Straße überquert, nee, mag ich auch nicht so gerne. LG von Rana ( baue jetzt ein Bett zusammen, mal sehen, ob es klappt )

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  3. Bei der Nasen-OP habe ich eine jüngere Frau kennen gelernt, die nie ohne ihren Mondkalender einen ernsthaften Termin festlegt. Sie glaubt ganz fest daran.
    Vielleicht sollte ich mal rückwirkend erkunden, was bei meiner verpfuschten OP für eine ungünstige Mondphase war.
    LG von Clara

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  4. Ich kenne einige Leute, die z. B. nach dem Mondkalender leben. Selber lehne ich das nicht grundsätzlich ab, aber mich könnte auch keine schwarze Katze von links erschrecken. Dann müsste mein Tag heute wirklich von Unglücken angefüllt sein, der Chef-Kater in überwiegend schwarz läuft einfach, wie er will. Auch von links.

    Jedoch finde ich, dass das Thema sehr kurzweilig und interessant aufgegriffen wurde von dir!

    Lieben Gruß, Brigitte

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  5. Ich meine, ich hätte die Geschichte schon mal gelesen, liebe Anna-Lena, kann das sein? Aber egal, ich finde sie klasse. 🙂
    Eigentlich bin ich nicht abergläubisch, wenn das Wörtchen „eigentlich“ nicht wäre. :mrgreen: Nee, nur so ein bisschen. Hier und da mal, aber nicht wirklich. 🙂

    Herzliche Grüße,
    Martina

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