abc-etüde Textwoche 6.18

Christiane lädt ein, Ludwig illustriert und ich durfte die Wörter spenden

knallvergnügt
verzichten
Unterhemd

Glühwürmchenblinkeffekte

 Der Winter war irgendwie ausgefallen, die Weihnachtszeit jedoch nicht, und so manche Menschen taten sich schwer daran, sich ihrer Weihnachtsbeleuchtung zu entledigen, denn jeden Abend um Punkt 18 Uhr, wenn Max seine erste Schreibtischrunde mit den Unterrichtsvorbereitungen für den kommenden Tag beendete, um zu Abend zu essen, flackerte es einmal kurz und kräftig, und bei Familie Meyer schräg gegenüber gingen die bunten Lichterketten auf dem Balkon an und in den mit Tanne geschmückten Kästen leuchtete es blau, grün und rot.
Familie Peters nebenan hatte wohl ähnliche Trennungsschmerzen, denn nur wenige Minuten später als bei Familie Meyer leuchtete ein goldgelber Mond, in dessen Sichel ein rot gekleideter Weihnachtsmann schaukelte, über der Fensterfront hingen weiß leuchtende Eiszapfen und dunkelblaue Eiskristalle und über der Balkontür leuchtete ein knallroter Herrnhuter Stern.
Max und Josephine hatten zwar auch zu Weihnachten Lichterketten an den Fenstern, aber dezent und in einem warmen Gelbton, doch sobald Silvester und Neujahr vorbei waren und das frische  Jahr knallvergnügt und mit unbändiger  Kraft vor ihnen lag, wollten sie auf eine verlängerte Weihnachtszeit verzichten und entweihnachteten ihre gemütliche Dreizimmerwohnung recht schnell.

Die dunkle Jahreszeit war noch längst nicht vorüber und ein wenig Licht am Abend war angenehm, doch warum so ein Glühwürmchenmöchtegerneffekt, der die Augennerven bis aufs Äußerste reizte und womöglich noch Augenkrebs auslöste?

Es waren ja nicht nur die Nachbarn gegenüber, deren Lichter auf eine penetrante Art und Weise leuchteten, der ganz normale Straßenverkehr und das wilde Geblinke der Ampelphasen taten ihr Übriges, sodass Max am Abend aus reinem Selbstschutz für seine Augen und seine Nerven die dunkelblauen Übergardinen zuzog, um die Atmosphäre seines Arbeitsplatzes nicht zu gefährden.

Es würde nur noch wenige Monate dauern und Max würde das bisherige Arbeitszimmer ins Wohnzimmer integrieren, damit Klein-Max oder Klein-Josephine abends in seinen oder ihren wohlverdienten Schlaf fallen würde.

Doch, Max zuckte bei diesen Überlegungen zusammen, würde es seinem Kind keinen Schaden zufügen, wenn das Kinderzimmer für das Baby  genau zur Straßenseite hinausging, mit all dem Straßenlärm und unzähligen  möglicherweise auf Dauer verlängerten weihnachtszeitlichen Lichtquellen, die dem Kind schon jetzt einen späteren Therapieplatz garantierten?

‚Du hast  ja  schon einen Berufsschaden’, durchfuhr es den Junglehrer, wenn er an all die Kinder aus seiner Klasse dachte, die bereits jetzt  schon in irgendwelchen Verhaltens-, Spiel und Gesprächstherapien saßen, um ihre Defizite aufzuarbeiten.

Ein Schweißausbruch am ganzen Körper zwang ihn, sich seines Unterhemdes zu entledigen.

Seinem Kind würde das nicht passieren, das nahm er sich fest vor und gleich morgen würde er mit Josephine eine Art Finanzplan machen und überlegen, wie ihre finanziellen Möglichkeiten für ein kleines Häuschen im Grünen aussahen.

© G. Bessen

8 Kommentare

  1. Besser, die schauen sich schon mal nach einem Platz in einem Waldkindergarten um oder so, irgendwas, was den Nachwuchs in spe ermuntert, so viel wie möglich draußen Zeit zu verbringen …
    (Echt? Jetzt noch Weihnachtsdeko? Ich sehe ab und an noch vereinzelte Sterne, aber hier ist der Blinkkram weg.)
    Liebe Grüße
    Christiane

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    • Die Weihnachtszeit endete ja eigentlich am 2. Februar, an Maria Lichtmess, das wurde aber abgeschafft, nun ist mit dem 6.1. das offizielle Ende der Weihnachtszeit.

      Somit erklären sich viele Lichter bis in diese Tage und da ich sie in unmittelbarer Nachbarschaft bis dahin erlebt habe, hat mich das inspiriert.

      Waldkindergarten muss es ja nicht gleich sein, das wäre für mich das andere Extrem.
      Wie in vielem wäre die goldene Mitte gut.

      Liebe Grüße aus der sonnigen Kälte,
      Anna-Lena

      Gefällt 1 Person

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