Erinnert Ihr Euch an den Giftmischer, der im vergangenen Jahr auf den Berliner Weihnachtsmärkten sein Unwesen trieb? Er bat Besuchern kostenlos alkoholische Getränke an, denen eine Art k.o.-Tropfen beigemischt waren. Dreizehn Menschen litten damals an Übelkeit, Krampfanfällen und weiteren Beschwerden und mussten zum Teil in Krankenhäusern behandelt werden.
Bis heute konnte der 40-45jährige Mann nicht gefasst werden. Ob er es wieder versuchen wird?
Damals schrieb ich eine Geschichte, deren Personen rein fiktiv sind…..
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Sie traute ihren Augen kaum. „Das kann ja wohl nicht wahr sein!“,
entfuhr es ihr, lauter, als sie es beabsichtigt hatte. Sie drehte sich um,
doch niemand schien ihren Worten eine Bedeutung zu schenken. Sie
eilte an den Notknopf und schilderte über einen kleinen Lautsprecher
ihr Problem. Fassungslos musste sie sich anhören, dass es der
Stimme am anderen Ende der Leitung zwar leidtäte, sie ihr aber auch
nicht helfen könne und sie knapp sechzig Euro bezahlen müsse, um
ihr Auto auszulösen. Sie eilte los, fest entschlossen, ihr Schicksal
selbst in die Hand zu nehmen.
Vor zwei Tagen hatte sie, einem spontanen Impuls folgend, den
Weihnachtsmarkt am Breitscheidtplatz besucht. Vorher hatte sie
ihren schwarzen Corsa im Parkhaus an der Nürnberger Straße, gleich
in der ersten Etage auf einem für Frauen ausgewiesenen Parkplatz
abgestellt und war guter Dinge zum Weihnachtsmarkt gelaufen. Sie
erfreute sich an einem heißen Glühwein, aß einen Bratapfel und
frisch geröstete Mandeln und wollte schon fast wieder den Heimweg
antreten, als ein gut aussehender Mann sie ansprach und sie in
ein Gespräch verwickelte. Er wirkte sympathisch und offen, und nie
wäre sie auf den Gedanken gekommen, ihm inmitten der vielen
Menschen zu misstrauen. Er konnte sie zu einer Currywurst überreden,
und nachdem sie satt und zufrieden war, spendierte er ihr einen
Kräuterlikör in einer kleinen Flasche.
„Auf ein schönes Weihnachtsfest!“ Er hatte den Verschluss seines
Fläschchens bereits abgeschraubt und hielt seine Flasche hoch.
„Pling“, machte es kurz, als beide Fläschchen gegeneinanderstießen.
Das tat gut! So ein Kräuterlikör räumte den Magen sicher richtig auf.
Sie bedankte sich für seine nette Begleitung und trat, gut gelaunt,
den Rückweg an.
Plötzlich drehte sich alles um sie herum. Krämpfe durchschüttelten
ihren Körper, ihr wurde abwechselnd heiß und kalt und an mehr
konnte sie sich nicht erinnern. Als sie die Augen aufschlug, blickte sie
in das freundliche Gesicht einer Ordensschwester.
„Wo bin ich?“, fragte sie mit kaum hörbarer Stimme.
„Im Krankenhaus. Bleiben Sie ganz ruhig liegen, bald geht es Ihnen
wieder gut.“
„Was ist passiert?“ Fragend blickte sie in die Augen der Schwester.
„Sie waren ohnmächtig, als Sie hier ankamen. Wir haben Ihnen den
Magen ausgepumpt, denn da war etwas drin, das er gar nicht bekömmlich
fand. Ich bin übrigens Schwester Theodora, die Oberin des
Franziskus-Krankenhauses, in das man Sie sofort gebracht hat. Und
wenn es Ihnen wieder besser geht, werden Sie mir sicher verraten,
wer Sie sind und an was Sie sich erinnern können.“
„Bestimmt“, murmelte sie und schlief bereits wieder ein.
Sie hatte das Gefühl wochenlang geschlafen zu haben. Der klopfende
Kopfschmerz hinter ihren Schläfen hatte sich gelegt, der Magen
schien noch ein wenig zu rebellieren, aber sie fühlte sich schon wieder
ganz passabel. Schwester Theodora wollte sie jedoch noch einen
Tag zur Beobachtung im Krankenhaus behalten. Die Erinnerung kam
nur in kleinen Fetzen. Weihnachtsmarkt, der nette Mann, mit dem
sie sich unterhalten hatte, der Likör und dann … Filmriss. Schwester
Theodora riet ihr ernsthaft, eine Anzeige bei der Kriminalpolizei zu
erstatten, denn wie man bereits wusste, war ein Giftmischer auf den
Weihnachtsmärkten unterwegs und vergiftete Menschen.
„Es sieht ganz danach aus, als seien Sie eines seiner Opfer. Versuchen
Sie sich zu erinnern, ob Sie ihn beschreiben können. Die Polizei
ist sehr daran interessiert, bevor er noch anderen Menschen schaden
kann.“
Sie strengte sich an und konnte der Polizei, die Schwester Theodora
eigens für sie gerufen hatte, detaillierte Auskünfte geben. Als ihr das
Ausmaß dieses Anschlages bewusst wurde, wollte sie nur noch eins,
nach Hause, in ihre eigenen vier Wände und schlafen, nichts als
schlafen … Nun stand sie im Parkhaus und glaubte kaum, was ihr da
widerfahren war. Eine Parksumme, die horrender nicht sein konnte
und eine Lautsprecherstimme, die keinerlei Mitgefühl zeigte. Der
Frauenparkplatz war gleich in der ersten Etage. Sie fand sehr schnell
zwei kräftige junge Burschen, die bereit waren, für einen anständigen
Obolus die Ausfahrschranke auszuhebeln und ihre eine freie Fahrt
nach Hause zu ermöglichen.
© G.B. 2011