Schreibeinladung für die Textwochen 18.19.21 (2)

Christiane hat wieder zur Etüde eingeladen.  Die Wörter für die Textwochen 18/19 des Schreibjahres 2021 stiftete Nina mit ihrem Blog Das Bodenlosz-Archiv. Sie lauten:

Korsett
rechtsdrehend
dampfen

 

Die Zerreißprobe

Das Geräusch war kaum zu ertragen und hielt seinen Körper von Kopf bis Fuß in Schach. Es kroch bis in den Haaransatz. Von dort aus setzte es sich wie Erdbebenwellen über die gesamte schwitzende Kopfhaut fort und rann den Rücken hinunter, Wirbel für Wirbel. Die Oberschenkel waren so verkrampft, dass ein Kribbeln von den Schenkelinnenseiten über beide Kniekehlen und dann über die Waden bis in die Fußspitzen zu spüren war.

Er spürte seine beiden Schulterblätter, die sich nach außen drückten, als könnten sie dieses dumpfe, durchdringende Geräusch dadurch besänftigen. Seine überstreckte Halswirbelsäule zog sich immer wieder vorsichtig rechtsdrehend aus einer Art Umklammerung. Die Fingerknöchel, weiß und bleich, hoben sich von seinen sonst gut durchbluteten Händen deutlich ab.

Hektisch sog er die Luft durch die Nasenöffnung. Dabei blähten sich seine Nasenlöcher wie die Nüstern eines Pferdes hoch und runter. Die Augen hielt er geschlossen und doch hatte er das Gefühl, direkt in das gleißende Licht der Lampe zu schauen. Sein Gesicht war mit kaltem Schweiß überzogen und schien gleichzeitig feuerrot zu glühen.

Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Obwohl er nur wegwollte, hatte er keine Chance, seinen Körper zu bewegen. Er war starr vor Schreck, wie in einem Korsett gefangen.  Die Anspannung zog  sich durch jeden Muskel seines Körpers. Gleichzeitig rauschte der Puls in seinem Trommelfell bis in die Innenseiten seiner Schläfen.

Eine zunehmend eklige  Feuchtigkeit im Mund ließ ihn innerlich erzittern. Es war Blut, das konnte er förmlich riechen und er hatte das Gefühl eine dampfende Wolke umhüllte sein Haupt.

Ein Ruck ging durch seinen Körper und eine schier grenzenlose Erleichterung überfiel ihn. Nun konnte sein Körper langsam in den Normalzustand zurückkehren.

„Das wäre geschafft! Dieses Biest wird Sie nicht mehr quälen!“, sagte der Zahnarzt und zeigte ihm den soeben entfernten Weisheitszahn. Und dann wurde es schwarz vor seinen Augen …

300 Wörter

 

Schreibeinladung für die Textwochen 14.15.21 (2)

Für die Textwochen 14/15 des Schreibjahres 2021 stammen die Wörter  von Ludwig Zeidler und Irgendwas ist immer. Sie lauten:

Sonnenhut
haltlos
massieren

Tante Hilde rückte sich die dunkle große Sonnenbrille gerade ins Gesicht, ein untrügliches Zeichen, dass niemand ihre Tränen sehen sollte. Der große lilafarbene Sonnenhut saß perfekt auf ihren mahagonifarbenen Locken. Passend zum Anlass trug sie einen sauteuren langen schwarzen Rock und eine luftige schwarze Bluse.

Alles war vorbereitet und wir warteten im Garten meiner Tante auf die Dinge, die da kommen sollten. Alle Verwandten hatten sich versammelt und saßen trotz der sengenden Maisonne still und erwartungsvoll auf ihren Stühlen. Unter einem weißen Partyzelt wartete bereits ein kleiner Imbiss neben Kaffeethermoskannen, gut abgedeckt und so verhüllt, dass Kai und ich uns fragten, was es Leckeres gäbe.

Kai war mein Zwillingsbruder und wir wagten nicht, miteinander zu reden, ja nicht einmal zu flüstern. Im Lippenlesen waren wir beide gut und als Kai „kalter Hund“ mit den Lippen formte, wäre ich um ein Haar in haltloses Kichern ausgebrochen. Aber meine gute Erziehung und der bohrende Seitenblick meines Vaters hielten mich von Ausbrüchen dieser Art ab.

Langsam wurde die Sonne unangenehm. Meine Schläfen pochten ein wenig, der Magen hing mir in den Kniekehlen und das Stillsitzen war auch nicht mein Ding. Ich begann meine Schläfen zu massieren, als ein schwarz gekleideter Mann mit einem großen Karton kam, auf Tante Hilde zuschritt und ihr ein paar Worte zuflüsterte. Tante Hilde schluchzte nun ungehindert.

Eine schwarze Keramikurne, umhüllt von einem beigefarbenen Seidentuch, wurde aus dem Karton gehoben. „Mein geliebter Mephisto 2015 – 2020“ leuchtete in großen goldenen Lettern auf der Urne. Tante Hilde drohte zu kollabieren, so sehr hatte der Abschiedsschmerz sie im Griff.

Ich hingegen empfand keinerlei Trauer, eher Genugtuung. Hatte mich dieser neurotische Vierbeiner mit dem so passenden Namen zeit meines kurzen Lebens in Angst und Schrecken versetzt und mehrfach gebissen. Was war er auch so blöd sich loszureißen und in ein Auto zu rennen!

300 Wörter

Schreibeinladung für die Textwochen 06.07.21 | Wortspende von Wortman

Christiane lädt alle Schreibfreudigen zu einer Kurzgeschichte mit max. 300 Wörtern ein.

Die Wörter für die Textwochen 06/07 des Schreibjahres 2021 stiftete zum ersten Mal Torsten mit seinem Blog Wortman. Sie lauten:

Affe
neu
blockieren

„Dieser bornierte Affe“ schimpfte Hilde lautstark.

„Worüber regst du dich denn schon wieder auf?“

Hubert war gerade eingedöst, als Hildes Wortschwall ihn unsanft weckte.

„Kriegst du denn gar nichts mit? Ich setze den Blinker und der da schnappt mir einfach den Parkplatz weg. Wo gibt es denn so was???“

 Hubert hatte es sich abgewöhnt, auf die emotionalen Ausraster seiner Frau einzugehen, wusste er doch, dass sie damit erst so richtig Fahrt aufnahm und nicht zu bremsen war. Er war auf sie und ihre Gnade angewiesen, zumindest die nächsten sechs Wochen, dann bekam er seinen Führerschein zurück und würde sich wie ein neuer Mensch fühlen.

„Fahr ein Stück weiter, da ist doch ein großer Parkplatz.“

„Das sehe ich gar nicht ein, wegen dem da so weit zu laufen.“

Hilde hatte das Familienauto direkt neben dem ‚Parkplatzmopser’ geparkt und forderte Hubert mit einem stummen Impuls auf, auszusteigen und sich um die Angelegenheit zu kümmern, sich womöglich mit dem unverfrorenen Herrn im Auto rechts von ihr zu duellieren.

Hilde blockierte mittlerweile den folgenden Verkehr und neben den giftigen Blicken des ‚bornierten Affen’, der offenbar nichts sehnlicher wünschte, als aussteigen zu können, hatte Hubert das Gefühl, im nächsten Moment hyperventilieren zu müssen. „Bitte sei so gut und fahre weiter. Du machst uns ja beide zum Affen“.

„Ich denke gar nicht daran!“, antwortete Hilde und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust.

„Wenn du nicht sofort weiterfährst, steige ich aus, dann kannst du sehen, wie du mit dem Wochenendeinkauf klarkommst.“ „Und, wenn du nicht umgehend handelst, steige ich aus und dann kannst du sehen, wie du das Auto nach Hause bekommst. Die Polizei fackelt nicht lange, wenn sie Menschen ohne Führerschein erwischt.“

Das war zu viel. Hubert öffnete die Tür, zwängte sich mit rollenden Augen zwischen beiden Fahrzeugen hindurch und steuerte den nächsten Taxistand an.

300 Wörter

 

 

Schreibeinladung für die Textwochen 03.04.21 | Wortspende von blaupause7

Die Wörter für die Textwochen 03/04 des Schreibjahres 2021 stiftete Ulrike mit ihrem Blog Blaupause7.

Christiane lädt alle Schreibfreudigen zu einer Kurzgeschichte mit max. 300 Wörtern ein. Sie lauten:

Lautsprecher
orange
erschüttern

Die Lautsprecher schwiegen und in der Luft lag eine Schwere, die fast schon schmerzlich war. Die Nachmittagssonne färbte den Himmel orange-rot ein und man hätte fast geglaubt, ein stiller Februartag neige sich langsam und friedlich dem Ende zu.

Doch von Frieden war keine Rede. Die Menschen waren aufgewühlt, am Ende ihrer so lange schon strapazierten Geduld und wollten sich nicht länger einkerkern lassen. Immer wieder wurden sie vertröstet, sich im Sinne des Allgemeinwohles zurückzuhalten und noch eine Weile durchzuhalten. Schließlich war das Licht am Ende des Tunnels ja zu sehen, obgleich der Weg dahin noch voller Stolpersteine lag.

Sie hatten sich zusammengeschlossen und sich deutlich Luft gemacht, diejenigen, die nun die Nase von vermeintlicher Verzögerungstaktik und Hinhaltemanövern voll hatten, und leider stießen sie bei vielen auf offene Ohren. Längst brodelnde innere Aggressionen, die sich nun verbal und körperlich Luft machten, hatten ein Chaos angerichtet, das an die Bilder eines wütenden Mob aus jüngster Vergangenheit in Washington, D.C. erinnerte.

Das, was alle täglich in den Medien vernehmen und schmerzlich sehen konnten, das, was die Verhaltensweisen weiterhin rechtfertigten, ja sogar zu einem MUSS erklärten, schien viele ebenso wenig zu erschüttern wie Millionen hungernder und bildungsferner Menschen in anderen Teilen der Welt, für die kein Licht am Tunnelende, sondern immer noch rabenschwarze Nacht zu sehen war. Denn so wie es momentan aussah, würden auch sie das Schlusslicht in der Bekämpfung der weltweit aktuellen Lage sein.

Aber andere Länder sind weit weg und der Blick über den eigenen Tellerrand ähnelt einer Hochgebirgs-Gipfelbesteigung. Hier spielt das Leben und das ist kaputtgemacht worden. ‚Holen wir uns das zurück’ – das war die Parole des Nachmittags und dafür rottete sich der Mob zusammen.

Die Polizei versorgte ihre verwundeten Kolleginnen und Kollegen und ließ viele von ihnen ins Krankenhaus bringen, in der Hoffnung auf ärztliche Kapazitäten und kompetente Hilfe.

300 Wörter

 

Mit dem heutigen Tag hat die Pandemie in Deutschland 50.642 Todesopfer gefordert.

Setzen wir um 16.30 Uhr ein Zeichen des Gedenkens
und stellen wir nach dem Vorschlag des Bundespräsidenten ein Licht ins Fenster.