Schreibeinladung von Christiane :
Die Wörter für die Textwochen 47/48 des Schreibjahres 2019 kommen von Bernd mit seinem Blog Red Skies over Paradise. Die neuen Begriffe lauten:
Unbehaustheit
schwermütig
haschen
Zeitgeist
Heutzutage scheint das ‚Hotel Mama und Papa’ Hochkonjunktur zu haben. Nicht selten genießen die jungen Leute das elterliche Nest mit warmer Stube, gemeinschaftlich am gedeckten Tisch, sofern es der Familienterminplan zulässt. Bei stets gefülltem Kühlschrank, die Wäsche gewaschen und gebügelt im Schrank und nur bedingt erforderlicher häuslicher Mitverantwortung lässt sich das gut aushalten, bis die Ausbildung beendet ist oder die finanziellen Rücklagen eine eigene Wohnung mit dem gewünschten Komfort versprechen. Der edle Ritter auf dem weißen Pferd ist eher ein Relikt der Vergangenheit geworden.
Mit dem Abitur in der Tasche und einer erfolgten Immatrikulation an der Uni zog es Freundinnen und Freunde meiner Generation genau da weg. Nicht, dass das Verhältnis zu den Eltern schlecht oder gespalten war. Das Ausziehen war meist nur für die Eltern eine große Hürde und der schwermütige Blick in den mütterlichen Augen hing bei jedem Besuch wie ein Damoklesschwert in der Luft. Es ging auch nicht darum, zu haschen, zu kiffen oder andere Unsinnigkeiten anzustellen. Nein, wir wollten frei sein, selbstbestimmt leben, unsere eigene Welt entdecken und das Leben stemmen.
Eine Einzimmerwohnung im Hinterhaus einer Berliner Mietskaserne, oft auch noch mit einer Toilette auf halber Treppe, ohne Bad, mit einem Waschbecken in der Küche und dem Schleppen von Kohlen und Briketts gern in Kauf genommen – das war Freiheit pur, das war Studentenleben. Junge Leute heute würden so eine Wohnsituation eher als Unbehaustheit definieren, doch uns störte das damals nicht.
Solche Wohnungen waren preislich erschwinglich. Dass man für seinen Lebensunterhalt nebenher jobben ging – BAföG bekam ja nicht jeder – war selbstverständlich.
Mit wenig Geld in der Tasche, den eigenen vier Wänden und der Freiheit war das Studentenleben ein durchaus schönes und reich an Erfahrungen!
277 Wörter
Wunderbar ist dieser Beitrag! Und so wahr und so selbsterlebt und so lebendig erzählt, daß man die gespendeten 3 Wörter als ganz natürlich zum Ganzen dazugehörig empfindet. Sehr schön! ( Nun muß ich nur noch einmal zurückdrehen, um den Namen wiederzufinden. …)
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Herzlichen Dank dir und einen lieben Gruß in die neue Woche!
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Danke, den lieben Gruß in die neue Woche gebe ich gern zurück.😊
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Ach, heißt die Autorin dieses Textes zu den 3 Wörtern Anna-Lena?! Hätte ich mir doch denken sollen.😊🌿
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Wunderbar bringst du die Gegensätze von früher und heute auf den Punkt. Und ich als älteres Semester finde natürlich die Nestflucht eindeutig besser und mutiger. 🙂
Lieben Montagsgruss,
Brigitte
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Ich auch, liebe Brigitte, denn auch, wenn man ein noch so gutes Verhältnis zu den Eltern hat, macht man doch alleine seine besten Erfahrungen .
Liebe Grüße auch dir,
Anna-Lena
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Ja, die Nestflucht war eindeutig besser. Allerdings sind die heutigen Verhältnisse wohl insofern schwieriger, weil es kaum noch eine “ billige Bude“ zu finden
gibt in den Universitätsstädten. Und da kann man auch nicht mal schnell auf einem klapprigen Fahrrad zu zu den Vorlesungen fahren, sondern braucht dann ein Auto. Ja, sehr schade.
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Auch sonst sind die preiswerten Wohnungen rar gesät, gerade wenn man Kinder hat. Du hast schon recht, die Zeiten sind andere, allerdings auch die jeweiligen Ansprüche.
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Ich ging im Krach von zuhause weg, einfach so ins Blaue. Nichts hätte mich halten können. Die Anfänge waren schwierig, aber die entstandene Freiheit hätte ich nicht eintauschen wollen. Die erste Bleibe war eine Bruchbude am Rande der Stadt, nah an der Autobahn. Komfortzone war das nicht. Ich hatte sehr wenig Geld und einen Job. Manchmal konnte ich mir die Fahrkarte nicht leisten. Es wurde besser, als ich begonnen habe zu studieren und in die Innenstadt gezogen bin. All diese Erfahrungen möchte ich nicht missen. Mein Haus heute gleicht eher einer WG. Ja, mein jüngster Sohn (24) und seine Freundin leben noch bei mir, allerdings in ihrer eigenen Etage. Ich wasche nicht für die Beiden und sie beteiligen sich an den häuslichen Aufgaben, haben auch ihre Kochtage. Es klappt mal besser und mal schlechter. Durch sie kommen immer andere junge Leute ins Haus. Und das gefällt mir sehr. Ich diskutiere und spreche gerne mit ihnen. Sie bringen Leben und Ideen mit und sind noch so unverbraucht.
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Danke für deine bereichernden Erfahrungen.
Ich möchte meine Erfahrungen, weg von zu Hause, auch keinen Moment missen, zumal ich nebeher alle möglichen Jobs gemacht habe, der Preis der Freiheit eben.
Dein heutiges Leben hört sich gut an. Junge Leute um sich zu haben, kann viel Sonnenschein bringen!
Liebe Grüße dir!
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Ja, so ähnlich war es damals auch bei „Muttern“, als wir 3 Studierenden aus verschiedenen Städten dann in den Ferien, z.T. mit Freunden, später mit eigenen Kindern, dort zusammenkamen. Diese Kinder (2) aber wurden mir viel zu früh „flügge“. Für sie wohl,das Allerbeste, für mich aber viel zu selten.
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Stimmt, aus der Generation bin ich auch noch, bloß nicht in Berlin. Das war die erste wichtige Entscheidung meines Lebens: Bleiben oder gehen? Ich würde heute vielleicht manches anders machen wollen, aber generell bin ich froh, dass ich gegangen bin.
Danke dir.
Liebe Grüße aus dem grauen Hamburger Morgen
Christiane 🙂
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So ging es mir auch. Das Haus, in dem ich meine erste Studentenbude hatte, war voll von Studenten und älteren Menschen und das lief prima, bis die Sanierungen begannen (Öfen raus, Bad in die Speisekammer eingebaut…) . Wir waren mobil und konnten uns recht schnell etwas anderes suchen, aber von den Älteren blieben so manche auf der Strecke, nicht nur wegen des Lärmes und Dreckes, sondern, weil sie die neuen Mieten nicht tragen konnten.
Auch Brandenburg ist grau in grau und noch sehr usselig. Aber ich schicke dir auch liebe Grüße!
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Ja, der Anfang war auch für mich schwer. Ich suchte mir Göttingen aus und besuchte dort die Päd.Hochschule. Da begannen aber zugleich, trotz „Bruchbude“ , die „Wunder“ und „Fügungen“, wobei ich schon sehr selbständig wählte und entschied. Nichts davon bereue ich heute.
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„Eine Einzimmerwohnung im Hinterhaus einer Berliner Mietskaserne, oft auch noch mit einer Toilette auf halber Treppe, ohne Bad, mit einem Waschbecken in der Küche und dem Schleppen von Kohlen und Briketts gern in Kauf genommen“ – genau das war auch meine erste Wohnung und trotz aller „Unbequemlichkeit“ ist sie in meiner Erinnerung meine schönste Behausung je gewesen – von Unbehausheit keine Spur 🙂
Liebe Grüße
Ines
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So geht es mir auch! 🙂 Vielleicht hast du dein Domizil ja auch in Neukölln gehabt?
Wir waren jedenfalls eine tolle Truppe im Haus und den Nachbarhäusern und hatten trotz der Einfachheit unseren Spaß 😉 .
Auch dir liebe Grüße,
Anna-Lena
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Bei mir war es Ende der neunziger ein noch nicht saniertes Haus im Prenzlauer Berg. Das war noch die Zeit, zu denen man auf den Hausdächern feierte, las oder ein Sonnenbad nahm 😉
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Herrlich, da springt mein Kopfkino gleich mit an 🙂 und die Erinnerungen kommen …
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Über die Nestflucht in eine Art äußere Unbehaustheit zu neuer Nestwärme kommen. – Flohen die Kinder damals nicht auch vor den Zumutungen ihrer Eltern. Was wird heutigen Kindern überhaupt noch zugemutet? Liebe Grüße, Bernd
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Das ist eine gute Frage, lieber Bernd.
Die Ansprüche an Kinder seitens der Erwachsenen sind sicher ebenso zahlreich wie die unterschiedlichen Erziehungsstile.
Auch dir liebe Grüße
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Ein sehr schöner Beitrag zwischen damals und heute. Allerdings sind heute die Mieten in den Großstädten auch kaum bezahlbar, was vielleicht ein Grund für einige Nesthocker ist.
Irgendwie meint man ja immer früher war alles besser, das sage ich heute zu meiner Tochter und meine Mutter hat ähnliches zu mir gesagt. Wahrscheinlich ein immerwährender Kreislauf.
LG Susanne
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Da magst du recht haben, liebe Susanne. Besser war es früher sicher nicht, es war anders und einfach ‚in‘, so früh wie möglich das elterliche Nest zu verlassen.
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Mein Küken hat auch das Nest verlassen…. für mein Mutterherz viel zu früh…. naja, sie ist 21, also erwachsen 😉
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Ich erinnere mich noch gut, als sie noch die Schulbank drückte …
Mit 21 darf man flügge werden, sie wird ihren Weg finden. 🙂
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Meine Kinder blieben nicht lange und die Jüngere hatte die verrücktesten *Buden*, aber sie kam klar und vermisste nichts. Mal war es eine WG mit 2 männlichen Mitbewohnern und dann wieder eine mit einer Freundin gemeinsam in einer alten Fabrik und immer zog sie im gleichen Stadtteil um… Nun steht der nächste Umzug ins Haus. Ende der Woche ist es soweit und ich denke, ihren alten Stadtteil, den wird sie noch sehr vermissen (und ich auch *g*)
Die jungen Leute, die ich in HD treffe, haben fast alle ihre Studentenbuden und mit dem Fahrrad hin und her zu fahren, klappt hier ganz gut.
Ganz herzlich, Bruni, mit lieben Grüßen in die Nacht zu Dir
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WGs haben auch heute noch ihren Vorteil, wenn man dadurch Kosten sparen kann und zudem noch in Gesellschaft ist, vorausgesetzt, man kommt miteinander klar.
Alles Liebe für deine Jüngste und einen guten Neuanfang im neuen Domizil und im neuen Kiez.
Hab du auch eine gute Nacht und sei herzlich gegrüßt,
Anna-Lena
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ja, danke, drück mal die Daumen. Ende März soll das Kindchen kommen *lächel*
Schlaf gut!
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