Es dauerte keine drei Tage, da hatte Ernst seine Meinung über Seniorenheime mit Pflegemöglichkeit gründlich revidiert. Die freundliche Aufnahme, das helle, dem See zugewandte Zimmer und sein Zimmernachbar Ludwig hatten ihn mit seinem momentanen Schicksal versöhnt.
Ludwig und er verbrachten viele Stunden auf der Bank am stillen Seeufer und plauderten gern miteinander über Gott und die Welt. Sie hatten das Gefühl, sich schon ein Leben lang zu kennen. Und zum ersten Mal wurde Ernst so deutlich wie nie bewusst, dass der restliche Lebensweg doch nicht mehr unendlich war, sondern, wie bei Ludwig, eine scharfe Kurve einschlagen konnte und man dann alle Hände voll zu tun hatte, nicht selbst völlig aus der Kurve getragen zu werden.
„Alt werden ist nichts für Feiglinge.“ Da war etwas dran, sinnierte Ernst. Niemand wollte alt werden, schon gar nicht altersschwach und krank. Aber irgendwann war es vorbei mit dem jugendlichen Hüpfen und wer nicht lernte, das Leben rechtzeitig in jeder Lebenslage als ein Geschenk und eine immer neue Herausforderung zu sehen, die es zu bewältigen galt, der machte sich etwas vor.
Ernst steckte sein Lesezeichen ins Buch und erhob sich langsam. Es wurde windig auf der Bank am See und Ludwig erwartete ihn in seinem Zimmer zu einer Partie Schach. Mit dem Rollator brauchte Ernst schon eine gewisse Zeit zurück zum Haus und seine gute Erziehung ließ ihn trotz seiner Bewegungseinschränkung pünktlich sein.
Sobald er und Christel wieder in ihrem Zuhause waren, würde er sich mit ihr gemeinsam Gedanken über einen Umzug in diese Villa am See machen. Ein Doppelzimmer für Ehepaare hatte er sich bereits zeigen lassen.
Warum sollten sie sich mit ihrem Haus weiterhin belasten, das zunehmend mehr Arbeit machte, anstatt mit Menschen ihres Alters noch eine gute Zeit in netter Gesellschaft zu erleben und in Würde den letzten Weg gemeinsam zu gehen?
300 Wörter
Schön geschrieben. Ich hoffe nur, dass die zwei genug Geld haben…. bitter ist es, dass es bei den staatlichen Heimen leider oft etwas anders aussieht.
Liebe Grüße
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Das hoffe ich auch, aber wenn sie ihr Haus gut verkaufen können, wird das was!
Ja, wir wissen, was im Bereich der Pflege los ist und der demografische Wandel wird uns noch vor ungeahnte Probleme stellen, doch die literarische Freiheit können wir hier ausleben 🙂 .
Auch dir liebe Grüße!
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Schön wäre das, wenn der Einzug in eine Senioren-Wohnung immer so sanft und einsichtig vonstatten ginge.
Dieses Beispiel lässt jedenfalls hoffen.
Herzlichen Gruss,
Brigitte
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Ja, liebe Brigitte, das ist eine Idealvorstellung, von der wir träumen können.
Auch dir liebe Grüße
Anna-Lena
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Da hat Ernst Glück gehabt!
Was mir aber noch durch den Kopf geht, ist, dass man eben auch über ein gewisses Budget verfügen muss, um in einem Seniorenheim am See die letzten Jahre zu verbingen,das ist nun wahrlich nicht jeder und jedem vergönnt.
Herzliche Grüße
Ulli
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Völlig richtig, liebe Ulli, aber vielleicht verkaufen sie ihr Haus Gewinn bringend …
Die Realität ist anders, aber träumen kann man ja.
Einen lieben Gruß auch dir,
Anna-Lena
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Eine großartige Geschichte. Aber vielen fällt es halt nicht so leicht, das lieb gewonnene Dach über dem Kopf aufzugeben, und zu wissen, dass es für immer ist. Von Geld spreche ich jetzt mal nicht.
Was mir aber fehlt, ist Ping und/oder Kommentar zur Schreibeinladung, magst du mal schauen?
Liebe Grüße
Christiane
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Ein Heim ist alles andere als ein Wunschdomizil und ich wünsche jedem, dass ihm das erspart bleibt. Das Bewusstsein, dass es vor den Erdmöbeln der letzte Weg ist, stelle ich mir nicht so aufbauend vor, zumal die Realität ja eine andere ist. Aber träumen dürfen wir.
Ich pinge jetzt nachträglich, hatte nämlich vorgepostet und war den ganzen Tag auf Achse.
Liebe Grüße,
Anna-Lena
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aber es muß nicht so bald sein, liebe Anna-Lena 🙂
Schrecken würde mich schon alleine dieses Zimmer für zwei…, bzw. für ein Ehepaar…
Doch Dein Ernst fand seinen Ludwig, einen Freund, seelenverwandt, den er vorher vielleicht nie hatte. Ein Glücksfall, der nicht jedem wiederfährt.
Fein geschrieben und doch keine gute Vorstellung für mich, aber vielleicht in späterer Zeit, die jetzt noch so weit entfernt von mir liegt.
Herzliche Gutenachtgrüße von Bruni an Dich
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Zumindest kann so eine Erfahrung den Blickwinkel ändern. Ich grusele mich ebenso vor einer Vorstellung, mal ins Heim zu müssen, aber wir müssen uns ja jetzt noch keine Gedanken machen. Wer weiß, was alles kommt …
Liebste Grüße zu dir und auch eine gute Nacht!
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