Ein neues Jahr mit neuer Minimalprosa.
Aus drei Wörtern in 10 Sätzen
eine Kurzgeschichte schreiben,
das ist die Herausforderung.
Diesmal stammen die Wörter von Christiane selbst und Ludwig hat wie immer illustriert.
Herausforderungen
Verstohlen blickte er hinter sich, doch niemand schien ihm zu folgen.
Es war so bitterkalt, dass er glaubte, seine Hände kaum noch zu spüren und mit zusammengebissenen Lippen versuchte er, den voll beladenen Einkaufswagen über das vereiste Kopfsteinpflaster zu schieben.
Hoffentlich hatte er an alles gedacht, denn in dieser Kälte wollte er nicht noch einmal zurück in den Supermarkt, in dem er sich ohnehin nicht mehr lange blicken lassen konnte, denn die Kassiererin hatte ihn heute wieder so misstrauisch angesehen.
Er war fünfzehn Jahre alt, in den Augen seiner ehemaligen Freunde ein absoluter Loser und seitdem sein alkoholsüchtiger Vater ihn rausgeschmissen hatte, wollte so richtig niemand mehr etwas mit ihm zu tun haben.
Es war nur eine Frage der Zeit, wie lange er überhaupt noch zur Schule gehen würde, denn die Erzieher in der Auffangstation, in der er zurzeit wohnte, beschwerten sich schon lange über seine Unzuverlässigkeit und er hatte keine Lust auf stundenlange und sinnlose Diskussionen.
Und einen Schulabschluss würde er ohnehin nicht schaffen, da verbrachte er seine Zeit doch lieber mit der Gruppe obdachloser Jugendlicher, mit denen er sich derzeit anfreundete, obgleich ihm die Mutprobe, die sie ihm abverlangten, wie eine zentnerschwere Bürde auf der Schulter lag.
Er schob sich die speckig gewordenen Haare aus der Stirn und betrachtete prüfend, was er so alles zusammengeklaut und in seinem gut versteckten alten Einkaufswagen in das leer stehende Haus bringen wollte, in dem sie sich zu viert ein Quartier errichteten.
Alles, was sie als grundlegende Ausstattung benötigten, klaute er zusammen, das war die Aufnahmebedingung, die sein weiteres Schicksal entscheiden würde.
Natürlich hatte er schon immer mal hier und da etwas mitgehen lassen oder seinem Vater Geld aus der Brieftasche geklaut, wenn der bis obenhin zu war und ohnehin keine Peilung mehr hatte.
Aber die Anerkennung seiner selbst, so wie er war, hatte ihm immer gefehlt und die wollte er sich in seiner neuen Clique verdienen, egal, was sie von ihm verlangten.
Beklemmend und gut geschrieben!
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Sehr realistisch auf jeden Fall, wenn man bedenkt, dass die Zahl obdachloser Jugendlicher ansteigt.
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Dabei sollte die Trennung von den Eltern nicht automatisch Perspektivlosigkeit bedeuten, aber wir lesen diese armen Seelen erst auf, wenn das Leben komplett vermurkst ist, wenn überhaupt.
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Manchmal ist ja eine Trennung sogar sinnvoll, aber wie du schon sagst, das unmittelbare Auffangbecken danach muss stimmen.
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Es spiegelt die Realität. So lange hier ein gewisses Gefühl für den jungen Menschen fehlt und er sich immer nur ausgegrenzt fühlt wird es so etwas geben.
Toll geschrieben!
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Da nicke ich voll und ganz zustimmend!
Danke für dein Lob 🙂 , das ehrt mich!
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Berührend…
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Danke dir!
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De nada…
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Oh, verdammt, was für ein falscher Weg
Aber so kann es passieren, wenn da niemand ist, der versteht und sich die Mühe macht, sich auf ihn einzulassen und ihn behutsam zu führen.
Ein wahnsinnig guter Text, liebe Anna-Lena
Liebe Grüße zum späten Nachmittag von Bruni
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Wenn junge Menschen in ihrer so wichtigen Entwicklung allein gelassen werden, vielleicht sogar als Störfaktor in einer Familie betrachtet werden, ist der Schritt zu solch einem Weg nicht mehr weit.
Liebe Grüße zum frühen Abend, liebe Bruni 🙂 .
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Da stimme ich Dir voll zu, liebe Freundin, und die Ergebnisse sehen wir oft.
Liebe Gutenachtgrüße von Bruni
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Drei unzusammenhängende Worte zu einer Story mit Tiefgang zusammengefügt – Chapeau!!!
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Die sonntägliche Herausforderung. Mach doch mit! 🙂
Danke für ‚die Blumen‘ und sei herzlich gegrüßt,
Anna-Lena
PS: Hier findest du alles Wissenswerte zu diesem Projekt:
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Spannendes Projekt – danke für die Anregung 🙂
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Sehr gerne 🙂 .
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Eine düstere Atmosphäre, eine düstere Geschichte, aber beklemmend gut skizziert. Hoffentlich kommt er irgendwann heil aus der Sache auch wieder heraus.
Morgengrüße
Christiane
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Ja, das wünsche ich allen, die in ähnlichen Situationen feststecken. Mögen sie immer jemanden haben, der sie auffängt.
Liebe Abendgrüße zu dir,
Anna-Lena
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Es ist genial wie Du unter Vorgabe von drei Wörtern eine Geschichte schreibst.
Und dass diese Geschichten dann auch noch so viel Sinn haben, das ist schon Kunst.
Herzliche Grüße
Agnes
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Oh, liebe Agnes, danke für dein Lob, das freut mich und motiviert mich, weiterzumachen.
Liebe Grüße auch zu dir,
Anna-Lena
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Wie traurig! Aber in manchen Fällen sicher sehr real.
Lieben Gruss,
Brigitte
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Ja, solche Schicksale scheint es häufiger zu geben. Das sollten wir nie vergessen und nach Möglichkeit auch verhindern.
Lieben Gruß auch zu dir!
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