Mein Pädagoginnengesicht (2)

 Eine wahre Geschichte aus dem Schulalltag,
als der Winter noch ein Winter war…

 

Endlich war er da – der Winter. Nachdem das Thermometer in den letzten Tagen vorsichtig unter null Grad gesunken  war, hatte eine Schneedecke heute früh das ganze Land überzogen.
Musste man an anderen Tagen all seine Überredungskünste aufbieten, um die Schülerscharen in den großen Pausen auf den Schulhof zu bekommen, erwachte bereits kurz vor dem Klingeln zur großen Pause eine seltsame Unruhe. Pausenklingeln – Jacke an und raus.

Früh, vor der ersten Stunde, hatten sich die Kollegen  noch kurzfristig gegenseitig daran erinnert, die Schüler zu belehren, dass das Schneeballwerfen aus immer wieder erklärten Gründen verboten sei.
Die Kollegin, die in der ersten Pause Hofaufsicht hatte, hatte schon früh bemerkt, dass heute nicht ihr Tag war.  Rutschpartien auf der Straße, der Blick auf den Vertretungsplan, auf dem sie genau für die Stunde eingeteilt war, in der sie ihre Zeugnisse schreiben wollte und dann die alleinige Hofaufsicht, da der zweite Aufsicht führende Kollege sich heute früh krank gemeldet hatte.

In einer Schule mit neunhundert Schülern war es unmöglich, an allen  Stellen, an denen Schüler sich unbeobachtet fühlten, gleichzeitig zu sein. Die Schneebälle flogen nur so durch die Gegend und es war eine sportliche Leistung, sich rechtzeitig zu ducken oder einen Satz zur Seite zu machen, um nicht mit einem Schneeball zu kollidieren.  Immer wieder erklärte sie mit Engelsgeduld, dass sie die Schüler ja verstehe, dass es aber aus Gründen der Verletzungsgefahr nicht erlaubt sei, mit Schneebällen zu werfen. In dem Moment, indem sie weiterging, wurden die Schneebälle hinter ihrem Rücken zu neuem Leben erweckt und flogen weiter.  Auch das wusste sie, sie hatte es in ihrer Schulzeit ja nicht anders gemacht.

In der zweiten großen Pause, in der sich  im Lehrerzimmer  im ersten Stockwerk bereits das Mittagstief bemerkbar machte, war ein Fenster weit geöffnet. Aber auch der hereinströmende Sauerstoff brachte keine Lebendigkeit in die Kollegen. Das Auf- und Zuschrauben der Kaffeekanne war das einzig deutliche Geräusch, das aber auch niemand mehr wirklich wahrnahm. Eine leere Kaffeekanne, wenn man nach Kaffee lechzt, erzeugte bei den Kollegen eine eindeutigere Reaktion.

Platsch!! Eine heiße braune Flüssigkeit spritzte in alle Richtungen! Im oberen Bereich des Kaffeepottes schwamm keck ein Schneeball, dessen Existenz bedrohlich aussah. Plötzlich waren alle hellwach. Die Kollegin, der der Kaffeepott gehörte, schaute ungläubig auf ihren einst weißen Rollkragenpullover herunter, dann voller Entsetzen auf ihr soeben  aktualisiertes Kursheft und schnappte nach Luft.  Zwei andere Kolleginnen  identifizierten mühelos die Täter vom Fenster aus. Während bis auf drei Schüler alle mächtig beschäftigt waren und den Fenstern des Lehrerzimmers keinerlei Beachtung schenkten, standen die drei mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen auf dem Hof und starrten hinauf.

„Genau die drei habe ich heute in der großen Pause mehrfach ermahnt, das Werfen zu unterlassen.“ Das folgende Gespräch von Fenster zu Hof mit der Kollegin war kurz und knapp.
„ Wer von euch war das?“ „Ich nicht!“ „Ich auch nicht.“ „Na, ich auch nicht, ich schmeiß doch keinen Ball ins Lehrerzimmer.“ Alle drei wurden kurzerhand nach oben bestellt. Nach dem Kompliment, dass derjenige, der den Ball geworfen hatte, seinem Sportlehrer unbedingt seine Treffsicherheit bezeugen sollte, kam auch das  Geständnis des Übeltäters von ganz alleine.
Obwohl er gestanden hatte – das Kompliment hatte ihn doch gebauchpinselt – bekam er als Hausaufgabe einen Aufsatz auf, mit dem Thema: „Ein Schneeball und seine gefährlichen Folgen.“
Der Aufsatz wurde promt am nächsten Tag mit der mütterlichen Unterschrift abgegeben und jeder Deutschlehrer runzelte die Stirn:

„Das Schneballwerfen ist in der Schule verboten weil, es schlimme folgen haben kann Z.B. Es können im Schneeball Steine sein und das kann´s in das Auge gehen und dann Kann man Blind werden. Und auch Z.B. Kann das ins Ohr gehen und dann Kann man Ohrenschmerzen bekommen. Mann kann Schneebälle auf die Nase bekommen und bekommt Nasenbluten. Man Kann auch durch ein Eisball am Bein getroffen werden und man bekommt Blaue Flecken. Wenn ein Schneball zu einem Eisball geworden ist und man wird am Kopf getroffen Kann man auch eine leichte Verletzung herbeitragen. Das war mein Aufsatz über Schneebälle und seine Folgen.“
(Der Verfasser ist der Autorin bestens bekannt 🙂 )

©G. Bessen, 2009

33 Kommentare

  1. Ja, die jungen Leute. Sie haben so viel Power. Wer will es ihnen verdenken, dass sie Schneebälle werfen.
    Jeder weiß, dass es nicht ohne Gefahren ist.
    Aber dass da einer ins Lehrerzimmer gekommen ist, und in einen Kaffeepott, das ist der Hammer überhaupt.
    deine Bärbel

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  2. Das war ein Treffer! Da kann man nicht meckern. Das war dann ja 2009. Fünf Jahre später – würde es da eine Steigerung geben? Besonders im Aufsatz. Eigentlich muss man ja lachen, aber es drängen sich einem auch Gedanken auf, wenn man das liest.

    Aber danke, dass du uns da teilhaben lässt.

    Schönen Sonntag und lieben Gruß, Brigitte

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  3. ach, was für ein Aufsatz, liebe Anna-Lena. Er läßt mich leicht schmunzeln und dann sofort schreiben, daß er sehr gut zum Schneeball werfenden Wiederholungstäter passt.
    Wäre der Aufsatz ausführlicher und fehlerfreier gewesen, hätte ich es nicht geglaubt, daß er vom Übeltäter selbst geschrieben war *grins*

    Liebe Sonntagsgrüße von Bruni

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  4. Muhahahah …. guuuuut 😀 ….
    es sind ja sowieso immer die Gleichen ….
    da muss man nicht lange hinterher suchen ….

    DAS habe ich heute früh gelesen
    und ich musste dabei an dich denken…..

    Die Lehrerin sagt:
    „Wenn ihr mir einen Satz bilden könnt mit SAMEN und SÄEN,
    dürft ihr sofort nach Hause gehen!“
    Fritzchen meldet sich und sagt:
    „Guten Tag zuSAMEN, morgen SÄEN wie uns wieder!“

    Dir einen schönen Sonntag Abend!
    😉 Katja

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