Duftig

Duftig

Obwohl wir uns nicht kannten, waren wir einander vertraut. Der Morgenzug um 5.26 Uhr in Richtung Grünau verband uns. Wir grüßten uns nie, nicht einmal der Hauch eines Kopfnickens war uns wichtig. Und doch machte ich mir Gedanken, wenn er mal nicht auf dem S-Bahnhof stand. Ich legte absolut keinen Wert auf eine Unterhaltung, er war ganz und gar nicht mein Typ.

Seinem Äußeren nach lebte er alleine. Seine blauen Jeans, seine Turnschuhe und seine blaugraue Fleecejacke schienen nicht immer ganz keimfrei zu sein. Seine etwas schütteren Haare wirkten oft speckig und ungewaschen.

In der S-Bahn saßen wir auf „unseren“ Plätzen, in Fahrtrichtung und jeder von uns in seine Morgenzeitung vertieft. Am S- Bahnhof Bornholmer Straße trennten sich unsere Wege, bis zum nächsten Arbeitstag

An diesem Morgen versetzte er mich in Erstaunen. Er war von Kopf bis Fuß neu eingekleidet. Seine Haare waren frisch gewaschen und in Form geschnitten, sein Dreitagebart fehlte. Er trug eine hellbraune Übergangsjacke, die den Kontrast zu seinen schwarzen Jeans hervorhob.
Seine Füße steckten in schwarzen Halbschuhen. Ich konnte einen Hauch von Attraktivität nicht leugnen.

Der Zug setzte sich in Bewegung. Ich schloss die Augen und versuchte, den letzten Rest Schlaf aus meinem Körper zu vertreiben. Meine Sinne reagierten schnell, ein Duft stieg mir in die Nase, der mir fremd und doch vertraut vorkam.

Mein Kopfkino sprang an und ich reiste in meine Kindheit, um diesen Duft aufzuspüren. Alle hatten sie, meine Uroma, meine Großtanten, nur bei uns gab es so etwas nicht. Scheinbar hatte meine Mutter auch nie daran Gefallen gefunden.
Ich sah sie vor mir, die kleinen Kissen, kunstvoll bestickt, aus denen getrockneter Lavendelduft aufstieg und meine Nasenflügel wurden leicht kraus.

Es war nicht so, dass ich Lavendel nicht mochte, im Gegenteil. Wenn die Luft im Sommer vom Summen der Insekten erfüllt war und die lilablauen Lavendelblüten sich leicht im Sommerwind hin und her bogen, war das Sommergefühl perfekt. Dazu ein süßer Duft von Rosen, deren rote Blütenköpfchen einen perfekten Kontrast zum Lilablau des Lavendels abgaben, das war Sommer pur.

Ich öffnete die Augen, neugierig, woher der zarte Lavendelduft kam, Mein Blick ging in eine Richtung und ich betrachtete meinen vertrauten Mitreisenden, der in seine Zeitung vertieft war. Ich war sicher, dass er seinen Tag morgens im Lavendelschaum begonnen hatte und der Rest seines Schaum- oder Duschbades nun gleichmäßig durch das Zugabteil waberte.

Die Sonne hatte die Wolkendecke durchbrochen und schickte ihre warmen Strahlen in das Abteil. Ich hatte noch Zeit, schloss die Augen und träumte mich in ein riesiges Feld mit blühendem Lavendel.
Der Tag konnte so richtig beginnen.

Lavendel

© G. Bessen 10/14

20 Kommentare

  1. Darf ich Kritik äußern? Die Wandlung ist mir too much, zu aufgesetzt – hätte es nicht auch gereicht, dass er die Haare gewaschen, gebadet und frische Klamotten angezogen hat? Dem Lavendelduft tut das keinen Abbruch und die Geschichte wäre weniger verklärt…

    Nicht böse sein, bitte.

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  2. So können Düfte die Erinnerungen wecken… Neulich stieg mir ein feines, leicht orientalisch und doch fein-herb riechendes Herrenparfum in die Nase. Und sofort schien sich in meinem Kopf die Zeit rückwärts zu spulen – es war genau der Duft, den ein früherer, langjähriger Chef, der mich sehr beeindruckt hatte, stets trug…
    Herzliche Grüße!

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  3. Wie die Geschichte wohl weitergeht.
    So ging es mir mal, als ich in eine Schreinerei kam.
    Denn mein Vater hatte bei Schalke die Tischtennis-Mannschaft mit gegründet. Und der betreute die Spieler und reparierte deren Schläger. Dafür stand immer hinten auf dem großen Kohleofen ein Pott mit Leim. Wenn der heiß gemacht wurde zum Kleben der Beläge der Schläger, das war der Duft, den ich in der Schreinerei erhaschte.
    ich fühlte mich in meine Kindheit zurückversetzt.

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