Neujahrsgeplänkel: Hilde und Lotte (2)

 „Guten Tag Lotte. Erwin und ich wollten Willi und Dir ein gesundes Neues Jahr wünschen!“

 „Das ist aber lieb von Euch. Wir wünschen Euch auch ein vor allem gesundes und zufriedenes Jahr 2013. Seid Ihr schon ausgeschlafen?“

 „Aber… Wir haben schon einen Neujahrsspaziergang hinter uns. Die Luft riecht zwar noch etwas verqualmt, aber ich mag es, gleich zu Beginn des Neuen Jahres eine Runde zu drehen. Es ist dann immer so friedlich, kaum ein Auto ist auf der Straße. Aber die haben hier wieder geknallt wie die Verrückten. Was das so alles kostet!“

 „Hier war es auch nicht viel anders, wie immer. Die Feuerwehr ist wieder ein paar Mal ausgerückt. Die Wache ist ja nicht weit von uns und jedes Mal habe ich überlegt, ob jemand im Suff einen Unfall gebaut hat oder sich einer einen Finger mit den gefährlichen Polen-Böllern abgeschossen hat. Mitleid habe ich weder mit den einen noch den anderen.“

 „Und – wart Ihr alleine oder hattet Ihr Besuch? Unsere Nachbarn, die sonst immer mit uns feiern, sind verreist und so haben wir es uns alleine gemütlich gemacht.“

 „Wir haben kurzfristig unsere neuen Nachbarn eingeladen, Du weißt schon. Das hat sich gestern ganz spontan ergeben.“

 „Du meinst die beiden schwulen Männer, die vor drei Wochen eingezogen sind? Kennt Ihr die denn näher?“

 „Wir haben sie ein paar Mal im Treppenhaus getroffen, mehr nicht. Als sie neu waren, haben sie bei uns geklingelt und sich vorgestellt – sehr sympathisch, sage ich Dir. Sie kennen noch niemanden in Berlin und gestern habe ich den einen beim Müll getroffen und gefragt, was sie abends vorhätten. Da sei noch keinen kennen, hatten sie nichts vor und wollten sich zu Hause einen gemütlichen Abend machen. Und – da habe ich sie spontan eingeladen.“

 „Und? Ich kenne keine schwulen Männer und hätte da sicher Berührungsängste, da ich mir so etwas nicht vorstellen kann.“

 „Die zwei kamen gegen acht. Der eine, Robby, brachte eine selbst gemachte Gulaschsuppe mit und der andere, Ernesto, eine Platte mit Schusterjungen, Räucherlachs und Käse. Ich hatte einen Kartoffelsalat gemacht und noch Pfannkuchen besorgt und so haben wir gegessen bis zum Abwinken. So eine gute Gulaschsuppe habe ich noch nie gegessen.“

 „Robby und Ernesto, das sind doch keine deutschen Namen!“

Hilde klang ein wenig entrüstet, was Lotte ein herzliches Lachen entlockte.

 „Hildchen, manchmal bist Du wirklich ein wenig hinter dem Mond. Robby heißt eigentlich Robert und spielt den eher weiblichen Part und Ernesto heißt Ernst und hat die Hosen an. Und beide kommen aus dem tiefsten Bayern.“

Hilde überlegte einen Moment.

„Was meinst Du mit weiblichem und männlichen Part? Ich denke, die beiden sind schwul??“

 „In vielen gleichgeschlechtlichen Beziehungen hat einer eher eine feminine Ausstrahlung und der andere nicht. Auch in solchen Beziehungen gibt es eine Rollenverteilung. Hilde, Du solltest mal den Friseur wechseln und mit zu ‚meinem’ Udo kommen, da kannst Du viel lernen. Udo ist nämlich auch schwul.“

 „Und worüber habt Ihr den ganzen Abend geredet?“

 „Wir haben über Gott und die Welt geredet. Die zwei hat es beruflich hierher verschlagen. Robby ist Banker und hat am Potsdamer Platz bei einer Bank angefangen und Ernesto ist Lehrer  für Deutsch und Geschichte. Er hat sich an seiner Schule für fünf Jahre beurlauben lassen, weil er an der Humboldt-Universität in Germanistik promovieren will.“

Hilde schwieg, begierig, noch mehr zu erfahren, aber Lotte fuhr unbekümmert fort, denn sie machte den Eindruck, das Gespräch bald beenden zu wollen. Hilde meinte, ein Klingeln an der Tür von Lotte und Willi vernommen zu haben.

„Nach dem Essen und interessanten Gesprächen mit unseren neuen Nachbarn haben wir bis Mitternacht Scrabble gespielt und gegen halb zwei sind die zwei in ihre Wohnung gegangen und wir schlafen. Das war`s.“

Hilde seufzte.

„Bei Euch ist immer etwas los, Lotte, dagegen ist unsere Leben immer so eintönig und irgendwie festgefahren.“

„Das kommt Dir nur so vor, Hilde. Seid einfach ein wenig flexibler und unternehmungslustiger. Wir reden morgen nach dem Sport weiter, okay? Ich hole Dich ab, wie immer, gleiche Stelle, gleiche Welle?“

„Ich freue mich, Lotte, der Feiertagsspeck muss wieder runter.“

„Wem sagst Du das??? Grüße Erwin schön. Bis morgen.“

„Und Du grüße Willi von uns. Bis morgen.“

©G.B. 1/13

31 Kommentare

  1. Solche spontanen Einladungen sind oft das Beste.
    Und wenn die beiden Herren nett sind, ist es doch super.
    Mit gleichgeschlechtlichen Paaren kann man sich super gut unterhalten.
    Sie sind offen für alles, und eben auch glücklich. Und das kommt rüber beim Gespräch, eine gute Zufriedenheit und Sicherheit.
    Danke für diese gute Story, liebe Anna-Lena ♥
    Dir ein gutes, gesundes, erfreuliches Neues Jahr 2013
    deine Bärbel

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    • Liebe kkk,
      ruhig war unser gewissermaßen auch, wir hatten nur zu tun, die Hunde zu beruhigen. Während „meine“ recht gelassen bei der Knallerei war, hat Herrchens Dackeldame fast wie jedes Jhr einen Hundeherzkasperl erlitten. Aber wir haben es gut überstanden und nachdem die letzten Böller gegen 3 (!!!) Uhr verklungen waren, war auch endlich an Schlaf zu denken. Die Dackeldamen holen den Schlaf der vergangenen Nacht immer noch nach, selbst der Fressnapf ist heute uninteressant 😯 .

      Dir und Dr. Vielguut ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2013, was alle eure Wünsche (besonders das mit der Wohnung) erfüllt.

      Mit lieben Grüßen
      Anna-Lena

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  2. Es hat sich viel geändert in den letzten Jahrzehnten und wie ich finde, nicht nur zum Schlechten. Man muss flexibler sein, mehr Mut haben, Interesse dazu und es schadet überhaupt nichts, wenn man auf die Leute zugeht. Daraus haben sich oft schöne Freundschaften entwickelt.

    Gehen wir es also an!

    Liebe Grüße, Brigitte

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  3. Danke schön liebe Anna-Lena ♥

    Hier wurde erste mal wieder weniger geböllert.
    Ich hatte es noch nie geschafft ein Feuerwerk zu knipsen und bin dann kurz nach dem „wünschen“ nach draussen in den Garten gegangen.
    Vor der Haustür böllerten die Nachbarn. Da ich nicht „ordentlich“(Hausanzug) angezogen war, bin ich da nicht raus. Mantel über und es fing an zu regnen. Hörte aber gleich wieder auf.
    Dann habe ich ein wenig geknipst und bin wieder ins Haus.
    Meine Liebsten alle angerufen und dann TV geschaut.

    Das Katzenkind lag auf meinem Hocker und hat sich nicht um die Böller geschert. Im ersten Jahr habe ich ihm erzählt, er soll untern Tisch vorkommen, es wäre alles ok. Das hat er mir geglaubt und dann haben wir zusammen die Knallerei aus dem Fenster geschaut. Und das machen wir seitdem jedes Jahr.
    Meist geht die Knallerei ja schon Nachmittags los und dann sage ich schon alles OK.

    Aber schön das eure Damen das auch überstanden haben. Klar muss man jetzt schlafen.
    Aber nichts futtern? Komisch…

    Sei ♥-lich gegrüsst und nochmals alles Gute!

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    • Langsam hat sich alles normalisiert, der Futternapf war wieder aktuell und morgen starten wir in den ganz normalen Alltag.
      Das Feuerwerk zu knipsen habe ich gar nicht erst versucht, das war mir hier zu hektisch. Rausgegangen bin ich mit den Hunden, denn so kleine Dackelblasen werden ja auch mal voll und das waren sie 😯 . Ich glaube, Katzen sind da leichter zu handeln.

      Auf ein Neues und liebe Grüße 🙂 !

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  4. spontane Einladungen sind meist gut, weil sie nur ausgesprochen werden, weil man den oder die sehr sympatisch findet und nicht, weil man sich halt immer traf u.diese eingefahrenen Bahnen so bequem sind.
    Das Komische ist nur, daß es scheinbar so wichtig ist zu erzählen, daß man ein schwules Paar eingeladen hat. Das hast Du gut herausgestellt.
    Wir sagen doch auch nicht:
    Du, Liesel, wir haben zwei Heteros eingeladen.

    Es ist doch vollkommen egal, ob so oder so. Hauptsache, es handelt sich um Menschen, die einem sympatisch sind, da sollte es keine Rolle spielen, ob das Paar aus zwei Frauen, zwei Männern oder aus Mann und Frau besteht.

    Dir wunderschöne und sehr liebe Neujahrsgrüße
    von mir

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  5. Mein Vater hatte ganz große Berührungsängste und Vorurteile, was sogenannte Schwule betrifft. Und dann hat er eines Nachmittags einen guten Freund von mir kennen gelernt, der „vom anderen Ufer“ ist. Das hat ihn umgehauen – „Der macht ja so einen vernünftigen und sympathischen Eindruck!“… :mrgreen:

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  6. Da waren die beiden Jungs bestimmt auch dankbar, daß sie in der großen (noch) fremden Stadt so lieben Kontakt bekommen haben. Ich hab einige Kollegen in der Firma, die „vom anderen Ufer“ sind und sie sind alle ganz liebenswürdige Menschen mit denen ich gern zusammenarbeite und mit denen ich auch in regelmäßigen Abstände UNO oder Phase10 oder was ähnliches spiele bei einem guten Roten und was Leckrem zu essen. Der eine heißt übrigens auch Robert. Und wer sich über „Schwule“ aufregt, den frage ich einfach, wer ihm denn das Recht gibt, über 300Millionen Erdenbürgern den Stab zu brechen. Dir und Deinen Lieben wünsche ich ein an- und aufregendes neues Jahr Zwanzich13. Ganz liebe Grüße vom grauen Wolf aus dem Land am Meer.

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